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Berlin - ein Heimatbuch

Berlin - ein Heimatbuch

Titel: Berlin - ein Heimatbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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Einkäufe oder meine himmlischen Pommes im Stich lassen. Und das geht natürlich nicht.
    Was in diesem speziellen Fall ein großes Glück ist. Denn kaum hat der Hutzelmann mit geschlossenen Augen die ersten Takte angestimmt, scheint der Verkehrslärm um uns herum wie ausgeschaltet. Wunderbare Klänge wehen zu uns herüber und geben unserem Gourmet-Essen die letzte Würze.
    »Bach«, stellt Karl fest. Ich schaue ihn fragend an.
    »Toccata in D-Moll. Ich wusste gar nicht, dass man so etwas auf dem Akkordeon spielen kann.«
    Wir lauschen dem kompletten Werk, beenden unser Paradiesmahl, werfen dem Akkordeonzauberer Kleingeld in den Hut und stemmen unseren Einkauf.
    »Let’s move«, packt Karl sein Sonderschullehrer-Englisch aus und stemmt seine Kaffeemaschine auf die Schulter.
    »Pass auf!«, entfährt es mir noch, doch meine Warnung kommt zu spät. Old Charly steht schon mittendrin im Hundeglück.
    Wahrscheinlich muss man eine Weile in dieser Stadt gelebt haben, um einen Riecher zu entwickeln, wo die allgegenwärtigen Tretminen auf einen warten. Karl trägt es mit Fassung und putzt seine Birkenstocks in der nahe liegenden Wiese ab. »Überall liegt Sch...«
    »Man muss eigentlich schweben, jeder hat ’nen Hund, aber keinen zum Reden.«
    »Was ist das? Ein Gedicht?«, fragt Karl.
    »Das ist von ein Song von Peter Fox: Schwarz zu Blau.«
    »Peter Fox? Wo habe ich diesen Namen schon einmal gehört?«
    »Den habe ich bei unserem Promi-Raten ins Feld geführt. Und du hast ihn als Halbweltgestalt diffamiert. Dabei ist er ein begnadeter Songschreiber.«
    »Von mir aus. Der Text mit den Hunden ist auf jeden Fall nicht schlecht.«
    »Woran man übrigens auch sieht«, wechsle ich vom Speziellen zum Allgemeinen, »dass Berlin schon immer eine sprudelnde Inspirationsquelle für Liedtexter war.«
    Karl hat sein offenbar tonnenschweres Haushaltsgerät ächzend wieder auf die Schulter gepackt.
    Wir gehen Richtung U-Bahn-Eingang.
    »Klar, es gab schon immer ’ne Menge Lieder über Spree-Athen«, wiederholt der Geburtspädagoge meine gerade getätigte Aussage in seiner schwerfälligen Diktion. Und führt erwartungsgemäß Unmengen an Musikern und Liedern aus der Bronzezeit ins Feld. Ich meine, nichts gegen Künstler wie Paul Lincke, Walter Kollo, Otto Reutter, Claire Waldoff, Cornelia Froboess, Hildegard Knef oder gar Marlene Dietrich. Alle ganz zweifelsohne große Könner ihres Fachs. Und Lieder wie »Das ist die Berliner Luft«, »Das war in Schöneberg«, »Ich hab noch einen Koffer in Berlin«, »Pack die Badehose ein«, »Berlin, dein Gesicht hat Sommersprossen« und viele andere sind sicher völlig verdient zu Evergreens geworden. Aber hallo: Leben wir nicht trotzdem im 21. Jahrhundert? Und hat nicht jede Epoche ihre eigenen Songs, die das jeweilige Lebensgefühl der Zeit, also den Zeitgeist, widerspiegeln?
    Deshalb kontere ich den Altertumsforscher mit aktuellen Beispielen der berlinbezogenen Tonsetzerkunst. Wie »Prenzlauer Berg« von Rainald Grebe, »Berlin 2011« von 2raumwohnung oder »Glücklich in Berlin« von Anna Depenbusch. Echte Knaller waren auch die Songs aus meiner Jugend in den 80ern. Ich sage nur »Berlin« von Ideal oder der gleichnamige englische Hit von Fischer Z und die nun wieder deutschsprachige Dopplung »Berlin, Berlin« von John F. und dem Kinderchor Gropiuslerchen – 1987 erschienen und ein Riesenhit. Weil die Refrainzeile »Berlin, Berlin, dein Herz kennt keine Mauern« hieß, erschien 1990 zur Wiedervereinigung gleich noch eine sogenannte Mauerfall-Version.
    Während wir uns also gegenseitig mit allen möglichen Liedtiteln und Sängern bombardieren, sind wir bereits in die U-Bahn Richtung Warschauer Straße gestiegen. Kaum ist der Zug angerollt, bringt ein sympathisch aussehender Hippie seine mit Love & Peace-Aufklebern übersäte Gitarre in Anschlag. Der Jungspund, er ist vielleicht gerade mal Anfang 20, singt verdammt gut. Als Bühnenprofi habe ich großen Respekt, wenn einer vor einem solch desinteressiert-gleichgültigen Publikum, wie es abgestumpfte Berliner BVG-Reisende nun einmal sind, eine starke und leidenschaftliche Performance hinlegt. Pünktlich zur nächsten Station ist der Song – anscheinend ein Werk aus eigener Feder – zu Ende. Statt Kleingeld möchte der Barde, dass man seine CD kauft. Respekt.
    »Der traut sich was«, bestätigt auch Karl. »Wer weiß, wo der noch landet.« Hoffentlich nicht in den Fängen von Dieter Bohlen.
    »Ich sag dir was, Schwoab. Diese Stadt ist voll von

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