Berlin Gothic 7: Gottmaschine (Thriller) (German Edition)
vibrieren.
Schwarz.
Rauschen. Brausen. Summen.
Lichtsplitter.
Kalter Schmerz, der ihn durchgleißt.
Ein nackter Leib. Unter der Decke. Das Fleisch wird zentimeterhoch nach oben gezogen - von Haken - Fischhaken, die durch das Gewebe getrieben worden sind. Der Leib einer nackten Frau, die an Drahtseilen von der Decke hängt und sich unendlich langsam um sich selbst dreht.
Geschnatter. Ein Geräusch wie Flügelschläge.
„Till?!“
Sein Mund ist ausgetrocknet, als hätte jemand zehn Stunden lang den heißen Strahl eines Föhns in die offene Rachenhöhle gehalten.
Er liegt auf dem Rücken - auf einer Matratze - in einem dämmrigen Kellerraum. Vor ihm sind die Spitzen einer geteilten Zunge zu sehen … die sich drehen - eine nach rechts, die andere nach links …
er blinzelt …
die Zunge wird beiseitegeschoben, ein Narbengesicht taucht in seinem Blickfeld auf …
Wasser - ich muss etwas trinken …
Tills Blick tastet über die Decke, die über ihn gebreitet ist, es brennt - seine Seiten glühen, als würden entzündete Benzinspuren dort in Flammen stehen -
dann rutscht die Decke von ihm herunter und sein Blick gleitet an seinem Körper herab.
Seine Arme … sie sind an seinen Rumpf angenäht - seine Beine an der Innenseite zusammen.
„Hallo - ist da jemand!“ Eine Stimme durchbricht den Raum. Ein Rudel kleiner Gestalten scheint sich am Fußende seines Betts zusammenzudrängen.
„Und, Till? Was denkst du? Gefällt’s dir?“ Es ist Felix, der ihn durch das dämmrige Licht des Raums hindurch anstarrt.
Tills Nerven flattern. Die Schreie überziehen sein Denken wie Sirup, er kann keinen Gedanken fassen.
Da bricht die Erinnerung mit erschreckender Klarheit über ihn herein.
Es ist erst wenige Stunden her - es war im Gasthaus, in das sie nach Max‘ Beerdigung gegangen sind.
„Erzähl mir nichts und weich mir nicht aus, Felix!“, hat er Felix angeschrien.
Er hatte gewartet, bis Felix nach hinten zu den Toiletten gegangen ist, dann ist er ihm gefolgt.
„Du hast mit Max über mich gesprochen! Wolltest du, dass wir aneinandergeraten? Dass ich mich mit ihm streite?“
Aufgerichtet und bleich hat Felix vor Till an dem Waschbecken gelehnt. Till hat geahnt, dass man ihn vorne, im Gastraum hören konnte - aber er konnte und wollte sich nicht mehr zurückhalten. Nina hatte es ihm gerade gesagt, sie hatten noch bei der Grube von Max‘ Grab gestanden.
„Was hast du Max gesagt? Dass ich dir etwas erzählt hätte?“
Till hat gesehen, wie Felix‘ Blick auf ihm ruhte, wie Felix abzuschätzen versuchte, wie weit er gehen würde - und plötzlich ist Tills Arm nach vorn geschossen. Er hat sein ganzes Gewicht, seine Masse in die Wucht des Schlags gelegt. Seine Knöchel sind auf Felix‘ Wangenknochen gerammt, in Tills Blick haben Blitze gezuckt. Er ist viel zu aufgeregt gewesen, als dass er sich noch hätte kontrollieren können, hat gespürt, wie er von der Wucht seines eigenen Schlags nach vorn gerissen wurde, wie Felix‘ Kopf herumflog. Felix ist nach hinten getaumelt, gegen das Waschbecken geschlagen, seine Hände haben sich an das kalte Porzellan gekrallt.
„Du hast sie bekommen, die verdammten Rechte an den Büchern seines Vaters - es ist dir gelungen! Aber du hast ihn umgebracht! Er hat es nicht verkraftet!“ Till ist wie rasend gewesen. „DU hast ihn auf dem Gewissen, nicht ich - “
Plötzlich hat er gefühlt, wie etwas Heißes, Klebriges in seinen Nacken geronnen ist. Hat sich auf Felix gestürzt und ihn zu Boden gerissen, wollte ihm ein Knie auf den Brustkorb rammen - und wenn er dabei den Knochenkasten durchbrach, es war ihm egal! Till wollte, MUSSTE die quälende Verantwortung für das, was er Max angetan hatte, aus sich herausreißen, indem er denjenigen, der an ihrem Streit schuld war, dafür büßen ließ.
Zugleich haben ihn jedoch fein wie Spritzen die Zweifel durchschossen: War es wirklich wegen Felix , dass du Max ins Gesicht getreten hast?
Im gleichen Moment ist der Schmerz an seinem Hinterkopf explodiert. Till hat sich an den Nacken gegriffen, die warme Flüssigkeit gespürt, die ihm in den Hemdkragen gesickert ist - und erst da realisiert, dass er einen Schlag abbekommen hatte.
Im nächsten Augenblick traf ihn der zweite Hieb. Ein Schlag, der Tills Kopf nach vorn geschleudert hat, der bewirkt hat, dass er über Felix hinweg an das Waschbecken gestolpert ist, sich darüber gebeugt und hinein übergeben hat.
Gleichzeitig hat Till Stimmen hinter sich gehört - vage mitbekommen,
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