Berlin Gothic 7: Gottmaschine (Thriller) (German Edition)
haben, dass es eine Illusion ist, zu glauben, unser Wille wäre frei!“
2
Ruhig stehen die Bäume am Waldrand, die Blätter in ihren Kronen rascheln im Wind und glitzern in der Sonne wie ein Paillettenkleid.
Unten aber, zwischen den Stämmen, über den weichen Waldboden kommen sie.
Die ersten, hinter denen sich weitere Gestalten drängen. Das Rascheln, mit dem ihre Füße über den Laubboden wischen, vermengt sich mit dem Rascheln der Blätter in den Kronen. Sie sagen nichts, sie rufen sich nichts zu. Sie wechseln keine Blicke, sie bleiben nicht stehen und zögern nicht. Sie rennen nicht, stürzen nicht, sie laufen einfach nur immer weiter - heraus aus dem Dämmerlicht zwischen den Bäumen, heraus auf die sonnendurchflutete Lichtung, auf der das Haus steht. Es ist eine Gruppe von vielleicht drei oder vier Dutzend Gestalten, die bleich wirken, ausgelaugt, und deren Gesichter dumpf sind und stumpf.
Unbeirrbar bewegen sie sich auf das Haus zu - und als sie den gläsernen Zaun erreicht haben, der es umgibt, hinterlassen ihre Hände, die sie auf das Glas pressen, beschlagene Spuren darauf.
3
„Wenn Gott die Welt, das All, das Sein - wie auch immer man es nennen will - so geschaffen hat, wie ein Autor die Welt seiner Geschichte erschafft - wenn wir für einen Moment davon ausgehen, dass diese Analogie uns ein neues, TIEFES, großartiges Verständnis von der Lage gibt, in der wir uns als Menschen befinden - wenn wir begreifen, dass Gott ein SCHÖPFERGOTT ist, so wie es die Menschen schon seit Jahrtausenden begriffen haben, egal in welcher Sprache sie über ihn nachgedacht oder geredet haben, ob in einer Höhle, einer Kathedrale oder einem Bunker - wenn wir begreifen, dass er ein Schöpfergott ist - dann haben wir einen Zipfel in der Hand, um Gottes Willen, den Willen, mit dem er das Sein erschaffen hat, zu verstehen.“
Den verstecken Willen.
„Denn wir müssen nur eines fragen: Wozu erschafft der Autor sein Buch? Und die Antwort darauf gibt Aufschluss auf die Frage: Wozu hat Gott das Sein erschaffen? Also: Was WILL der Autor? Du hast es gerade selbst gesagt, Till.“
„Er will einem Leser eine Geschichte erzählen.“
„GENAU! Er will einem Leser eine Geschichte erzählen. Und wozu hat Gott die Welt, das Sein, UNS erschaffen?“
Till sieht Felix an.
„Muss er nicht das Sein FÜR JEMANDEN geschaffen haben, Till? Können wir uns das Schaffen von etwas vorstellen OHNE dass es FÜR jemanden geschaffen wurde? Und wenn es auch nur FÜR DEN SCHÖPFER selbst ist?“
Aber …
„Das ist die Frage, die uns bei unserem Vorhaben einen WICHTIGEN Schritt voranbringt, Till: WENN Gott der Autor des Seins ist - WER IST DANN SEIN LESER?“
Till fühlt, wie sich seine Mundwinkel auseinanderziehen. Das hat er sich tatsächlich noch nicht gefragt.
„Ich finde diese Frage ungeheuer wichtig, Till. Wir beginnen, etwas von uns zu verstehen, wenn wir Gott als unseren Autor begreifen. Aber wie können wir uns diesen Autor, diesen Schöpfer OHNE jemanden vorstellen, der sein Werk wahrnimmt?“
Gar nicht.
„Eben! Wie gesagt: Von mir aus können wir auch denken: Gott schafft das Werk FÜR SICH SELBST. Um sich selbst ansehen zu können, wie es geworden ist. Und doch bleibt es dabei, dass es JEMANDEN geben muss, der das Werk rezipiert. Richtig?“
Till greift sich mit der Hand an die Schläfe. Aber was er denkt, ist: Ja.
Felix macht einen Schritt auf ihn zu, so dass er jetzt genau vor ihm steht. „Wir haben gesagt, dass wir Menschen Gottes Figuren sind, von ihm geschaffen wie die Figuren in einem Buch von einem Autor. Er hat uns vielleicht nicht direkt geplant und ausgeführt, aber er hat das SEIN geschaffen, von dem wir ein Teil sind. Wir sind ein TEIL seiner Schöpfung. Denk jetzt an denjenigen, FÜR DEN GOTT sein Werk geschaffen hat. Muss Gott nicht eine bestimmte WIRKUNG mit seinem Werk auf denjenigen, der das Werk wahrnehmen soll, ausüben wollen - so wie ein Autor will, dass sein Buch auf den Leser wirkt! Er will ihn vielleicht zum Nachdenken damit bringen, er will ihm gruseln - oder allgemeiner gesprochen: er will, dass sein Werk seinem Leser gefällt , richtig?“
Ja, natürlich, aber …
„Muss es UNS dann als Gottes Figuren nicht gelingen können, uns so zu verhalten , dass sich Gott als Autor in das Buch, ins Sein HINEINSCHREIBEN MUSS, damit sein Werk demjenigen, der es wahrnimmt, GEFÄLLT?!“
Unwillkürlich muss Till Luft holen, von dem plötzlichen Gefühl durchzuckt, dass das der Kern dessen
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