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Berlin liegt im Osten (German Edition)

Berlin liegt im Osten (German Edition)

Titel: Berlin liegt im Osten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nellja Veremej
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Dort gibt es diese ekelhaften mirabellenähnlichen Früchte nicht, die jetzt unseren Weg zur Bushaltestelle bedecken. Sogar Kubik, der bei Gelegenheit sogar an Fäkalien nascht, versucht nun so schnell wie möglich an den stinkenden matschigen Flecken vorbeizuhuschen. Als der Trolleybus kommt, packe ich Kubik und bleibe an der vorderen Tür stehen. Ich warte, bis die Menschen aus- und eingestiegen sind. Der Fahrer schaut aus seiner Kabine zu mir herunter: Der Hund darf nicht rein! Bist du bekloppt oder was? Es ist ohnehin voll!, keift er, und in seinem rauen, ziegelroten Gesicht bilden sich die Züge meines einstigen Geliebten aus der 5B. Das ist nicht wahr. Oder doch? Auf der Faust, die das große Lenkrad umklammert, lese ich den eintätowierten Namen meines früheren Freundes, jeweils ein Buchstabe pro Finger:
Oleg
. Tintenmeere, Warzen-Alpen, schwarze Halbmonde unter den Fingernägeln – das waren seine damaligen Hände. Das golden schimmernde Strohhaar ist rar geworden und hat die Farbe von Staub. Die Sommersprossen haben sich im dunklen Gesicht aufgelöst, nur das Grüne, seiner Katzenaugen ist das gleiche. Er wendet sich von mir ab, von mir, irgendeinem blöden Weib, das den Einstieg mit ihrem beschissenen Hund versperrt. Erbost ziehen sich die plissierten Türen zusammen, und der Zauberkasten wackelt brummend davon. Wie lebt er? Fährt er einen alten
Lada
und träumt von einem Mercedes? Wird er ständig von der Frau gepeinigt, die sich nur einen Hasenpelz leisten kann, während die Nachbarin Nutria auf ihren dicken Schultern trägt? Und eine Nutria-Trägerin träumt dann von Nerz, Chinchilla oder Zobel … Es wird aber nicht klappen, weder mit dem Mercedes noch mit dem Zobel. Frustriert wird er, mit den Fühlern seines Trolleybusses an die Stromleitungen gekettet, bis zu seiner Pensionierung zwischen dem Fleischkombinat und dem Tuberkulose-Camp pendeln.
    Es dauert, bis ich formell das Haus besitze und es verkaufen kann. Dafür muss ich nach einigen Monaten wieder in die Stadt kommen und einen nächsten Gang durch die Behörden machen. Bis dahin will ich hier nichts anrühren. Sogar die Spiegel lasse ich bedeckt, damit das Unheil sich nicht multiplizieren kann.
    Die Fenster sind mit Alufolie beklebt, die die Hitze abwenden soll. Das hilft – tagsüber herrscht im Haus gemütliche, kühle Halbdämmerung, nachts aber ist mir hier, in diesem dunklen verlassenen Bienenstock, nicht gut zumute.
    Kubik!, schreie ich in den Korridor. Der stolze Besitzer eines internationalen Impfpasses darf neuerdings ebenfalls das Haus betreten. Das tut Kubik aber nicht gerne – er geht nur rein, um nach der alten Wirtin Ausschau zu halten, die er sehr vermisst. Ich nehme ihn in die Arme und drücke ihn an mich, obwohl er noch nicht gewaschen und entfloht ist. Wie wird es ihm in unserer kleinen Berliner Wohnung ergehen? Es riecht streng, wenn er gähnt, und ich lasse ihn los. Er schenkt mir ein bescheidenes zahmes Lächeln und trabt zurück in den Korridor, wo er sich neben dem Zylinder des Dampfkessels eingerichtet hat.
    Wenn ich die Luster ausschalte, wird es mir zu dunkel. Ich finde keine Nachtlampe, bleibe mit der Streichholzschachtel vor Mutters Lämpchen stehen. Nein, brennende Kerzen riechen nach Tod, ich mag den Geruch nicht. Die paranoide Kerzenliebe meiner deutschen Kunden, ihre parfümiert riechenden
Oasen der Gemütlichkeit
machen mich wahnsinnig. Das erloschene Lämpchen hängt vor der verglasten Anrichte voller Ikonen. Früher standen da tschechische Kristallgläser, rumänische kobaltblaue Tassen, eine DDR-Porzellan-Garnitur, mit Opas Devisen erworben. Die Großmutter liebte es, die Fotos von Verwandten zwischen die Scheiben der Vitrine zu stecken. Als meine wieder verwitwete Mutter in das Haus einzog, nahm sie die Fotos weg und bestückte die Tiefen der Anrichte mit ihren Heiligen: goldene und silberne Glorienscheine, dunkle Gesichter, grämliche Augen. Zusammengepresste, stumme Lippen, lang und schmal, fast unsichtbar, wie zugenäht. Sie lächeln nie. Lachen tut der Teufel. Deshalb machte auch meine Mutter ein süßsäuerliches Gesicht, wenn sie zu ihnen sprach. Ich schiebe das Glas zur Seite und nehme die bemalten Holztafeln einzeln heraus. Wohin jetzt mit Mutters Göttern? Was mache ich mit den Kleidern, Schuhen, Töpfen?
    Der Kopfkissenbezug ist in der Mitte dunkel – Henna, das von ihrem Haar abgegangen ist, man kann es nicht mehr auswaschen. Alles hier ist immer noch von ihrem Leben durchtränkt, so wie diese

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