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Berlin liegt im Osten (German Edition)

Berlin liegt im Osten (German Edition)

Titel: Berlin liegt im Osten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nellja Veremej
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rundlichen Kassiererin. Bald öffnet sie ihre Kasse und wird Karten für die Vorstellung verkaufen, die mit mannshohen Lettern an der Fassade angekündigt wird: ‚Fuck off, Amerika!‘ Das Transparent ist Hunderte Meter weit sichtbar – was würde ein Tourist über unsere Stadt denken, wenn er diesen Satz von der S-Bahn aus sähe, ohne zu wissen, dass es bloß der Titel eines Theaterstücks ist?
    Ich biege in die Torstraße ein und gehe in den russischen Laden. Larissa findet unseren Kubik hässlich, weil sie viel Wert auf die Rasse legt. Trotzdem spendiert sie ihm aber ein Paar Leckerbissen, die Kubik sicher an seine Schmaustafeln bei den überfüllten Mülleimern unserer Heimat erinnern.
    Am zweiten Tag schlägt die Routine ein. Allein das Aufstehen fällt mir wegen des zweistündigen Zeitunterschieds sehr schwer. Der Fernsehturm ist von dichtem Nebel umhüllt. Der Anblick der Rechnungen, Mitteilungen und Mahnungen, die sich auf dem Tisch stauen, widert mich an. Im Altersheim wird renoviert: Es riecht ätzend, und eine Foyerecke ist mit hauchdünner Folie abgeschirmt, die unheildrohend raschelt, als ich vorbeieile. Frau Gnuschke scheint meine Abwesenheit gar nicht bemerkt zu haben. Ich bringe ihr Frühstück ins Zimmer, und beim Aufschlagen des gekochten Eis fällt ihr ein, dass Denis sie
unanständig betastet
habe. Dann kommentiert sie die Konsistenz des gekochten Eis und beschwert sich über die Marmelade.
    Wie meinen Sie das mit Denis?
    Ich erzähle Ihnen alles. Aber nur, wenn Sie mir versprechen, dass Sie es nicht ausposaunen werden.
    Ich verspreche.
    Als ich nach Hause fahre, bleibt meine Straßenbahn an der Kreuzung stecken und versperrt den nachfolgenden Trams den Weg. Ich steige direkt vor Larissas Lebensmittelgeschäft aus und schaue hinein. Larissa waltet hinter dem Tresen, am runden Tisch in der Mitte sitzt Olja. Mit ihrem auftoupierten Haar und ihrer Leibesfülle auf dem hochgedrehten Barhocker sitzend, ähnelt sie einem aufgebrachten Huhn. Sie lehnt sich gegen den Tisch, vor ihrem tigergemusterten Rumpf steht eine vereiste Flasche Wodka. Auf dem Teller daneben schwitzen geräucherte, fette Fischbauchfetzen, die für den Verkauf offensichtlich etwas zu alt sind. Ich setze mich zu Olja. Sie ist betrunken.
    Du musst nach Hause! Willy hat schon mehrmals angerufen und nach dir gefragt, setzt Larissa den Dialog fort, den sie offensichtlich schon länger führen.
    Sag ihm, er ist … – Olja sucht nach Worten – ein Scheusal! Ein Natterngezücht!
    Du musst nach Hause, sage ich und schaue über Oljas Kopf zu Larissa.
    Ich gehe nur mit dir zu ihm!, greift Olja nach meiner Hand.
    Larissa macht Grimassen in meine Richtung
(tu es)
, die unschönen Geschichten von Misshandlungen rechtloser Frauen schießen mir durch den Kopf, und ich tue das, was Olja will.
    Kurze Zeit später fummelt sie hektisch mit dem Schlüssel an Willys Wohnungstür, bis diese von innen geöffnet wird. Ein dürrer, lebhafter Mann Ende sechzig im blauen Trainingsanzug steht vor meinen Augen. Ich bin sprachlos: Diese faltige graue Krake hält unsere Olja in seinen Tentakeln?
    Die Wohnung ist von altem Zigarettenrauch und der Atmosphäre der leichtsinnigen Siebziger durchdrungen.
    Kommen Sie rein! – Der schäbige Willy schaut mich verlegen an und greift der betrunkenen Olja unter die Arme, die ihren mageren Freund mit dem Ellenbogen wegstößt. So gelangen wir ins Wohnzimmer. Den Raum dominiert ein riesiger Wandschrank, in dem ein Garten Eden aus Plastikgrün wuchert, bevölkert mit Hunden, Katzen und Hasen aus Gips.
    Olja fällt in den tiefen Sessel (es hört sich furchtbar an) und streckt ihre Kegelwaden aus.
    Olja, du solltest nicht trinken, es tut dir nicht gut!, sagt Willy.
    Du kotzt mich an!, verkündet Olja ultimativ und deutlich wie ein amerikanischer Präsident am Pult des Weißen Hauses.
    Wir haben Besuch, vielleicht sollten wir alle zusammen essen?
    Und dein Geschäft läuft auch zum Kotzen! – Olja dreht sich zu mir: Er hat Farben mit unserem Geld gekauft, das ganze Haus in Potsdam gestrichen, jetzt zahlen diese bankrotten Arschlöcher nicht! Ich habe ihm tausendmal gesagt: Kauf die Farben nicht mit meinem Geld! Sie müssen es selber im Voraus bezahlen!
    Dann wendet sie sich Willy zu und brüllt: Seit wann machst du schon Minus? Saftarsch! Und deine Kinder hassen mich, ich weiß! – Sie beginnt zu weinen, ihr welliger, tigergemusterter Rumpf bebt.
    In den nächsten drei Minuten bin ich über die Lebensumstände des Paares

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