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Berliner Aufklaerung - Roman

Berliner Aufklaerung - Roman

Titel: Berliner Aufklaerung - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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gerade an politischer Philosophie. Deshalb dachte ich mir, daß es sinnvoll wäre, mit Ihnen – dem wichtigsten deutschen Vertreter des Kommunitarismus als der einflußreichsten zeitgenössischen Gesellschaftstheorie – zu beginnen. Ursprünglich hatte ich die Reihe anders aufziehen und mit einem Portrait von Rebecca Lux eröffnen wollen, aber das ist ja nun leider nurmehr in Form eines Nachrufs möglich.«
    Die Lesebrille auf der Adlernase sackte etwas tiefer, das Lächeln auf Maier-Abendroths Wellblechlippen spielte ins Süß-Säuerliche. Anja ignorierte es. »Ich habe heute im Tagesspiegel gelesen, daß die Polizei annimmt, Frau Lux habe erst Rudolf Schreiner und dann sich selbst umgebracht. Was halten Sie von dieser Theorie? «
    Maier-Abendroth setzte sich mit einem leichten Hüsteln gerade und legte die Fingerspitzen aneinander. »Nun, ich stimme mit den Annahmen der Polizei vollständig überein. Rebecca Lux war eine unzufriedene Frau. Ich denke, sie hat in den letzten Jahren mehr und mehr gespürt, was sie in ihrem Leben alles versäumt hat. Familie, Kinder, all das, was uns sonst Glück und Ausgeglichenheit schenkt, hat Frau Lux zugunsten ihres Karrierestrebens systematisch aus ihrem Leben verbannt. Und zu welchen Verzweiflungstaten unerfüllte Frauen imstande sind, zeigt uns ja die blutige
Geschichte von Klytämnestra über Judith bis hin zu diesen RAF-Terroristinnen.«
    Anja zog tiefer an ihrer Prince und stieß den Rauch langsam durch die Nasenlöcher wieder aus. »Halten Sie mich auch für unerfüllt, Herr Maier-Abendroth?«
    Maier-Abendroth machte eine leicht seitwärts gerichtete Kopfbewegung, die offensichtlich galant gemeint war. »Aber Frau Sommer, bereits Ihr ganzes Auftreten ist gar nicht mit dem dieser verhärmten Frau zu vergleichen. Sie sind doch eine strahlende Erscheinung. «
    Anja verschluckte sich an ihrem Zigarettenrauch. Sie versuchte, den Husten, so gut es ging, zu unterdrükken. Sollte Maier-Abendroth auf die Idee kommen, ihr den Rücken zu klopfen, würde ein Unglück passieren. Mit leicht gerötetem Kopf bemühte sich Anja, die Konversation wieder aufzunehmen. »Haben Sie Rudolf Schreiner gut gekannt?«
    Maier-Abendroth lehnte sich zurück. »Rudolf Schreiner war ein großartiger Mensch. Wie alle genialischen Menschen war er allerdings nicht immer einfach im Umgang. Für ihn war Denken Leidenschaft. Das bedeutete eine Kompromißlosigkeit, die manche der Kollegen hier vielleicht verstört haben mag.«
    Anja hatte ihre Lunge inzwischen wieder einigermaßen beruhigt. »Ich habe gehört, er hätte in letzter Zeit am Institut eine Menge Schwierigkeiten gehabt.«
    »Wissen Sie, an einem Philosophischen Institut, wo viele starke Persönlichkeiten tagtäglich aufeinanderprallen, gibt es immer Differenzen. Ich denke allerdings, daß eine solche Streitkultur unerläßlich ist für fruchtbares geistiges Arbeiten. Die agonale Dimension der Philosophie kann gar nicht hoch genug eingeschätzt
werden.« Mit energischer Handbewegung strich Maier-Abendroth eine silbergraue Strähne, die ihm in die Stirn gefallen war, zurück.
    Anja drückte ihre Zigarette in dem tönernen Aschenbecher aus. »Um auf mein eigentliches Anliegen zurückzukommen, wann wäre es Ihnen denn recht, sich zu einem Gespräch mit mir zu treffen?«
    Maier-Abendroth streckte seine übereinandergeschlagenen Beine seitlich neben dem Couchtisch aus. »Falls es Ihnen nichts ausmacht, wäre es mir am liebsten, wenn wir uns in meinem Wochenendhaus bei Lübbenau treffen könnten. Zum Schreiben ziehe ich mich immer dorthin zurück. Wenn man eine fünfköpfige Familie hat, ist es einem nicht so ohne weiteres möglich, zu Hause ungestört zu arbeiten – Sie verstehen, was ich meine.«
    Anja glaubte, ziemlich genau zu verstehen. »Selbstverständlich bin ich damit einverstanden. Für das Portrait ist es sogar gut, wenn ich Sie am Ort Ihres Wirkens beobachten kann.«
    Maier-Abendroth zeigte Anja zwei Reihen blendend weißer Zähne. Sie fragte sich, ob es schon die dritten waren.
    »Das freut mich, Frau Sommer. Die Spreewaldgegend liegt mir nämlich besonders am Herzen. Die nahezu unverfälscht erhaltene sorbische Kultur stellt – zumindest in unseren Landen – die letzte intakte Kleingemeinschaft dar. Ich habe dort einige sehr wichtige Anregungen für meine kommunitaristischen Studien erhalten.«
    Anja vermutete, daß es im Spreewald zumindest keine Schwulen gab. Sie ließ sich die genaue Adresse geben.

    »Wäre Ihnen Samstag nachmittag

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