Berliner Aufklaerung - Roman
aussieht wie ’n schlechter Beethoven?«
Anja ließ ihre leere Bierflasche fallen. »Sagt mal, seid ihr denn alle übergeschnappt? Erst erzählt mir Ulf, daß Schreiner in seinem Zweitleben ›weicher Rudi‹ hieß, und jetzt willst du mir weismachen, daß Maier-Abendroth wahrscheinlich der ›silberne Willi‹ ist?«
Ulf stützte trotzig sein Kinn auf die Faust. »Also, ich weiß ganz sicher, daß dieser Prof da, Schreiner, schwul war. Wenn er nicht schwul gewesen wär’, würd’ ich ihn ja gar nicht kennen. Und wenn Peer dir sagt, daß der andere auch schwul ist, dann wird das schon stimmen. Ich selber hab Rudi zwar noch nie mit so ’nem – « Ulfs Redefluß wurde von Peers kräftigen Lippen abgeschnitten.
Als Ulf wieder unter Peer auftauchte, hatte sich ein kleiner roter Fleck auf seiner Unterlippe ausgebreitet. Während Ulf sich unauffällig mit der Zungenspitze das
Blut von der Lippe leckte, spielten Peers linker Zeige-und Mittelfinger mit einem Stück von seiner Wange. »Laß doch diese alberne Geschichte. Willst du uns nicht lieber Bier holen? Geht auf meine Rechnung.«
Ulf legte den Kopf schief und erwiderte Peers stahlblauen Blick mit einem blaugrünen Augenaufschlag. »Na gut, aber nur, weil du es bist.« Er verschwand mit dem Zwanziger, den Peer auf den Tisch gelegt hatte, in Richtung Bar.
Anja drückte ihre Zigarette aus. »Du bist dir sicher, daß Schreiner was mit so ’nem Kerl gehabt hat? Die Beschreibung paßt nämlich schon auf Maier-Abendroth.«
»Wenn’s dich wirklich interessiert, kann ich mich noch mal genauer umhören.« Peer steckte sich eine Zigarette an.
Anja vermutete, daß der Gedanke, die Institutsmorde könnten ihre Wurzel in einer schwulen Kiste zwischen Schreiner und Maier-Abendroth haben, sie morgen mit Gefallen erfüllen würde. Für heute wollte sie nicht weiter darüber nachdenken. Da von Susanna immer noch nichts zu sehen war, hob sie ihre zu Boden gefallene Bierflasche auf.
»Is’ Mörderjagd schon länger dein Hobby?«
»Was? Nein. – Es ist nur – eine Freundin wurde umgebracht. «
Peer legte seinen Kopf in den Nacken und bewegte die verqualmte Luft über ihm mit einigen langsam ausgestoßenen Rauchkringeln. »Schau, schau, man gestattet sich Sentimentalitäten.«
Anja wandte sich abrupt ab. Eine neue Lärmwelle brandete ihr entgegen. Schwüle Hitze zog sich um sie herum zusammen. Sentimentalitäten. Diese Tunte war die allerletzte, der es zukam, über sie zu urteilen.
Die entfernten Lichtblitze stießen Anja ins Hirn. Aus dem zuckenden Helldunkel, das sie überflutete, tauchte ein grell geschminktes Gesicht mit pathetisch schwarz umrandeten Augen und blutroten Lippen auf. Das Gesicht kam näher.
Susanna begrüßte ihre Freundin mit einem flüchtigen Kuß, dann ließ sie sich in den Sessel neben ihr fallen. »Ich dachte, wir treffen uns alleine.«
»Wir sind auch gleich alleine. Ich wollte nämlich gerade gehen.«
Susanna sprang wieder auf und stützte ihre Hände mit den langen blutroten Fingernägeln in die Hüften. »Sag mal, hast du se noch alle? Ich schmeiß’ mich in Schale, ich hetz’ mich von der Probe hierher, und du erzählst mir, du bist gerade am Gehen? Wenn du mich nicht sehen willst, dann überleg dir das in Zukunft vorher! Ich hab’ die Schnauze voll von deinen egoistischen Launen!«
Susannas schriller Sopran, der selbst das Stampfen aus den Lautsprecherboxen überlagerte, schmerzte Anja in den Ohren. »Natürlich will ich dich sehen. Aber nicht hier.«
»Und warum nicht? Schließlich haben wir uns hier verabredet, um ’nen netten Abend zu verbringen. Ich will mich amüsieren, ich will tanzen.«
Anja stand auf, legte ihre beiden Hände auf Susannas zarten Arsch und zog sie mit einem Ruck an sich heran. »Laß uns zu dir fahren. Alleine amüsieren wir uns besser.«
Der lange Donnerstag war noch nicht zu Ende.
SPECULUM DE L’AUTRE FEMME
Leise vor sich hinsummend trat Susanna aus ihrem Haus Prinzessinnenstraße sieben auf den Bürgersteig und blinzelte in eine strahlende Oktobersonne. Seit Tagen war dies der erste schöne Morgen. Sie hatte heute vormittag keine Probe, so daß sie Anja den Gefallen tun konnte, den sie vorhin von ihr verlangt hatte. Die letzte Nacht hatte sie mit ihrer Freundin wieder versöhnt. Denn je schlechter diese Frau gelaunt war, desto besser war sie im Bett.
Von dem kleinen grünen Zettel, der unter dem Scheibenwischer ihres Fiat Uno klemmte, ließ sich Susanna ihre Hochstimmung nicht verderben. Sie
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