Berliner Aufklaerung - Roman
Probleme lassen sich nur lösen, indem man mit jemandem vernünftig darüber redet.«
Dankbar blickte Susanna zu Uhse auf. »Du hast ja so recht, aber – « Eine Tränenflut spülte den restlichen Satz hinweg. Susanna suchte in ihrer Jackentasche demonstrativ nach einem Taschentuch.
Uhse stand auf, um ein Päckchen vom Schreibtisch zu holen. Ihre Lippen begannen, sich in leichter Ungeduld zusammenzuziehen.
»Ach Petra, ich bin so verzweifelt, ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.«
Da auf dem Schreibtisch keine Taschentücher zu finden waren, zog Uhse verschiedene Schubladen auf, die sie geräuschvoll wieder schloß.
Susanna zog noch einmal das Wasser in ihrer Nase hoch, dann hielt sie den dramatischen Zeitpunkt für gekommen. »Ich bin schwanger.«
Uhse hielt in ihrer Bewegung inne und drehte sich verblüfft nach Susanna um. »Du bist schwanger?«
Susanna warf sich auf das Sofa. Ihr ganzer Körper
schüttelte sich unter neuerlichen Weinkrämpfen. »Ja, ich bin schwanger.« Leicht besorgt dachte Susanna daran, daß sie bis zwei Uhr ihr Gesicht wieder in einen normalen Zustand bringen mußte. Eine Soubrette kam nicht mit verheulten Augen zur Probe.
Susannas Schniefen erinnerte Petra offensichtlich daran, daß sie ein Taschentuch suchen wollte. In der zweituntersten Schublade fand sie endlich ein Päckchen. Vorsichtig setzte sie sich neben Susanna, die inzwischen etwas gefaßter wirkte.
»Danke.« Susanna griff nach dem Taschentuch, das Uhse ihr hinhielt, und schneuzte sich lautstark. »Das ist aber noch gar nicht das Schlimmste, ich meine, die Sache ist noch viel schlimmer.«
»Du bist vergewaltigt worden?«
Susanna überlegte kurz. An diese Möglichkeit hatte sie noch gar nicht gedacht, aber da man über Tote ja nichts Schlechtes sagen sollte, beschloß sie, doch bei der geplanten Variante zu bleiben. »Nein, nicht vergewaltigt. Aber ich bin trotzdem von Schreiner schwanger. «
Uhse zog ungläubig die Augenbrauen nach oben. »Schwanger von Schreiner? Der hat doch schon vor über einem Jahr sein coming out gehabt und uns seitdem in Ruhe gelassen.«
In den zwei Jahren Engagement an einem kleinen Opernhaus hatte Susanna es gelernt, auf überraschende Wendungen souverän zu reagieren. Gerade neulich hatte in einer Vorstellung ihr jugendlicher Geliebter seinen Auftritt verpaßt, und sie hatte die Szene ohne ihn anfangen müssen. Sie fand trotzdem, Anja hätte sie vorwarnen können, falls sie gewußt hatte, daß Schreiners Schwulitäten am Institut bekannt waren. »Meinst
du etwa, ich bin weniger schwanger, weil er schwul war?«
»Quatsch. Ich wundere mich nur, denn ich dachte immer, du hättest mit Männern nicht viel am Hut, und dann ausgerechnet Schreiner?«
Susanna fuhr sich mit der rechten Hand durch ihre mitgenommene Frisur. »Ich kann mir das selber alles auch nicht richtig erklären. Ich hatte mit Schreiner ja schon seit Jahren nichts mehr zu tun, aber vor ein paar Monaten, nach einer Vorstellung, kam er mit einem riesigen roten Rosenstrauß zu mir in die Garderobe und gratulierte mir. Ich fand ihn irgendwie rührend. Wie ein großes, dickes Kind.«
»Und deshalb bist du mit ihm ins Bett gegangen?«
»Na ja, nicht gleich. Aber beim dritten Mal dann schon.«
Uhse schnaubte verächtlich durch die Nase. »Das sind doch alles dieselben Scheißkerle. Heucheln Verehrung, nur um eine Frau ins Bett zu kriegen. Und auf so was bist du reingefallen?«
Susanna gestattete sich einen letzten kleinen Schluchzer. »Wieso reingefallen? Meinst du, er hat mich gar nicht geliebt?«
»Was heißt denn da Liebe? So ein Egomane wie Schreiner war doch überhaupt nicht fähig, eine Frau zu lieben. Solche Kerle wie der brauchen Frauen doch nur zu ihrer männlichen Selbstbestätigung.« Uhse stand mit einem heftigen Ruck auf und begann, im Zimmer auf und ab zu gehen.
Susanna nagte an ihrer Unterlippe. »Eigentlich war er doch gar nicht so schlecht. Vielleicht würde ich das Kind sogar bekommen wollen, wenn er noch lebte.«
Uhse blieb abrupt stehen. »Ja, bist du denn von allen
guten Geistern verlassen? Ein Kind von so einem Schwein, und dann womöglich auch noch ein Junge, damit diese Bagage auch ja nicht ausstirbt?«
Unter ihrem zerfransten Pony schlug Susanna erstaunt die Augen zu Uhse auf. »Was hast du denn gegen Schreiner?«
»Ich hab’ gegen Schreiner nicht weniger und nicht mehr, als ich gegen alle diese Chauvi-Schweine habe. Im besonderen habe ich gegen ihn nur noch, daß ich mir jeden Tag im Institut
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