Berliner Aufklaerung - Roman
knüllte ihn zusammen und warf ihn in den Rinnstein. Die erste Mahnung würde sie in diesem Jahr ohnehin nicht mehr erreichen, ob eine zweite kam, war fraglich. Nach längerem Stottern entschied sich ihr Fiat anzuspringen, und Susanna fuhr vom Bürgersteig auf die Straße.
Zu Petra Uhse war es nicht allzu weit, wenn ihre alte Adresse noch stimmte, wohnte sie in Schöneberg. Während Susanna das Reichpietschufer entlangfuhr, überlegte sie, was sie Petra erzählen würde. Anja hatte ihr nur gesagt, sie solle so viel wie möglich über deren Verhältnis zu Schreiner und wenn möglich auch zur Lux herausbekommen. Susanna verstand zwar nicht, wieso sich Anja dafür interessierte, und warum sie nicht selbst zu Petra fuhr, aber Anja war heute morgen
nicht dazu aufgelegt gewesen, ihr Näheres mitzuteilen.
Es war kurz vor elf, als Susanna die Motzstraße dreizehn erreichte. Die Haustür war abgeschlossen, deshalb klingelte sie bei »Dr. B. Müller / Dr. P. Uhse«.
Zu ihren Studienzeiten hatte Susanna das eine oder andere Seminar besucht, das Petra Uhse damals noch als »Wissenschaftliche Mitarbeiterin« veranstaltet hatte, später hatte sie Petra zu einigen ihrer Konzerte oder Premieren eingeladen. Ihr bisheriges Verhältnis ließ es somit nicht unbedingt erwarten, daß Susanna sich in ihrer tiefsten Verzweiflung an sie wenden würde, aber Susanna vermutete, daß die Frauensolidarität es Petra verbat, sich darüber zu wundern, daß gleich welche Frau mit männlich verursachtem Kummer zu ihr kam.
Aus der Sprechanlage neben der Klingel meldete sich die mürrische Stimme von Petras Mitbewohnerin. »Ja bitte?«
»Ich möchte zu Petra.«
»Petra ist nicht da. Ich weiß auch nicht, ob sie noch mal nach Hause kommt oder ob sie schon in der Uni ist. Bist du mit ihr verabredet?«
In Vorbereitung ihrer verzweifelten Lage schlug Susanna eine hysterischere Tonart an. »Ich muß aber unbedingt mit Petra reden.«
Bevor die Sprechanlage etwas erwidern konnte, ertönte hinter Susanna eine ihr bekannte, leicht gepreßt klingende Frauenstimme. »Na so was, Susanna. Was treibt dich denn hierher?«
Mißbilligend stellte die Sängerin fest, daß Petra immer noch nichts zur Verbesserung ihrer Sprechtechnik getan hatte, aber jetzt konnte sie sich darum auch
nicht kümmern. Statt dessen drehte sie sich um und warf sich der schätzungsweise fünfzehn Zentimeter größeren Frau an den Hals. »Petra, Gott sei Dank, daß ich dich treffe. Ich bin völlig am Ende mit den Nerven. Du mußt mir helfen.« Um Susannas Mundwinkel herum begann es zu zucken, hinter ihren Augen schimmerte es feucht.
Uhse blickte überrascht auf ihre ehemalige Studentin herab. »Meine Güte, was ist denn passiert?«
In weit ausholender Geste schlug Susanna sich die rechte Hand vor die Augen. »Nein, ich kann unmöglich auf der Straße mit dir darüber reden. Es ist so schrecklich.« Unter der Hand rollte eine erste Träne hervor.
»Na, dann laß uns doch erst mal nach oben gehen.« Petra schob die inzwischen von Weinkrämpfen geschüttelte Susanna in den Hauseingang. »Sekunde, ich muß gerade noch nach der Post sehen.« Der Briefkasten war leer, mit einem leichten Knall stieß Petra das Metalltürchen wieder zu.
Regelmäßig schniefend stieg Susanna hinter Uhse nach oben. Sie beglückwünschte sich einmal mehr zu ihrer Begabung, in allen Situationen heulen zu können. Schon ihren Eltern gegenüber oder in der Schule war ein geschickt eingesetzter Heulanfall immer ein wirksames Mittel gewesen.
Als sie im vierten Stock ankamen, war Petra Uhse weit heftiger außer Atem als Susanna, obwohl sie keinen zusätzlichen Atem fürs Schluchzen verbrauchte. Petra schloß die Wohnungstür auf, führte die aufgelöste Frau durch den sonnengelb gestrichenen Flur in das hinterste Zimmer und bugsierte sie dort auf ein Sofa mit weinrot geblümtem Stoffbezug. Sie selbst setzte
sich neben Susanna, nachdem sie ihre Aktentasche und ihren hellen Herbstmantel auf einem mit demselben Stoff bezogenen Sessel abgelegt hatte.
Susanna schluchzte etwas weniger, während sie durch eine Stechpalme hindurch in den immer noch strahlenden Herbsthimmel sah.
Uhse schien zu überlegen, ob es angebracht war, den Arm um Susanna zu legen. Letztendlich ließ sie es. »Willst du mir jetzt nicht verraten, was passiert ist?«
Susanna wandte ihren verheulten, glasigen Blick vom Fenster zu der Frau neben ihr. »Oh Petra, es ist so furchtbar.«
»Auch wenn es dir schwerfällt, du mußt mit mir darüber reden.
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