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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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wahnsinnig.“
    Jetzt öffnet er die Augen.
    „Sie ist nicht da“, sagt er, „nein, es ist auch nicht ihr Zimmer, und auch nicht ihre Straße. Ich habe mich verlaufen in meiner Verwirrung und alles ist vergebens. Das ist der Traum, der mich verfolgt bis heute. Aber so etwas kennst du nicht.“
    „Nein“, sage ich, schließlich wäre es das erste Mal, dass ich Vater etwas von meinen Obsessionen erzählen würde. Und wenn ich ans Brotschneiden denke, fallen mir nur Almas Finger ein, die ich verbinden muss, weil sie sich in den linken Zeigefinger geschnitten hatte bis fast auf den Knochen. Die Hände glänzten noch vom Olivenöl und von den Tomatenwürfeln, die sie auf die gerösteten Brotscheiben legen wollte, als sie zu mir ins Zimmer kam. Alma hatte versucht, das Blut abzuschlecken, hatte den Schmerz unterdrückt und weitermachen wollen, als ob nichts passiert wäre, aber dann bekam sie es doch mit der Angst zu tun. Das Blut wollte nicht aufhören aus der Wunde zu rinnen, die aufzuklaffen begann, und mit nach oben, über Schulterhöhe gehaltenem Arm kam Alma blass in mein Arbeitszimmer.
    „Wärst du doch gekommen“, sagt Klara, „und wenn es nur im Traum gewesen wäre. Aber ich lag allein die ganze Zeit.“
    Sie verzieht ihr Gesicht und blickt an mir vorbei, sieht durch mich hindurch. Jetzt ist sie wieder die alte Maus, gegen die sich das Schicksal verschworen hat. Ihren Satz sagt sie fast atemlos und mit bockigem Unterton, aber vielleicht ist das der Starrsinn der Liebenden, durch den sie sich schützen vor der Welt außerhalb ihres Kokons, die Welt des Schreckens und des Sterbens.
    „Im Luftschutzkeller saß ich die ganze Zeit allein neben meiner Schwester“, fährt sie fort, „meiner kleinen Schwester, die vor Angst starb. Ich ließ sie sterben, jedes Mal von neuem, und konnte nichts anderes als auf den Einstieg zu starren und zu hoffen, dass einer noch in den Keller stürzt, ein junger Soldat mit diesen Augen. Und ein Stück Brot ist schnell gegessen, viel zu schnell, wenn man Hunger hat. Man schlingt es hinunter in zwei Bissen und verflucht sich, dass man es nicht kauen kann. Nicht kauen, nicht auf der Zunge schmecken und im Gaumen, es nicht langsam im Speichel zergehen lassen kann.“
    „Ein junger Soldat“, sage ich, „wo war der junge Gefreite?“, und stoße Vater an.
    Der aber will nichts wissen von jungen Wehrmachtsangehörigen, er starrt auf die lachenden Mädchen am Nebentisch, die sich über ihre Mobiltelefone Nachrichten zuschicken und Cola light bestellen. Wieder einmal spielt er den verwirrten Alten, der nichts mehr mitbekommt. Er hat auch kaum auf Klara geachtet, als sie von ihm sprach, hat während ihrer Rede in der in Kunstleder gebundenen Speisekarte geblättert, die vor uns auf dem Tisch liegt. Es fehlt nicht viel, dass ich mich für ihn schäme.
    Dann bin ich wieder in meiner Pension, allein mit meinen Gedanken. Die Dämmerung kann von einem Moment auf den anderen über die Stadt fallen, dann gehen im Block gegenüber mit einem Mal die Lichter an, und ich schaue durch die großen Industriefenster in die Halle im Untergeschoß, wo die jungen Tänzerinnen sich abmühen. Training von sieben bis zehn, anfangs habe ich in den Gesichtern der Mädchen Ähnlichkeiten mit meiner Tochter gesucht, aber die, die hier zum Ballettunterricht kommen, tragen alle einen entschlossenen Zug um den Mund. Außerdem sind sie jünger. Sie tragen lila und rosa Trikots, manche blaue Turnanzüge, und drehen ihre schmalen Körper durch die Halle, bis einem schwindlig wird vom Zusehen. Oder sie probieren Posen aus, und die Lehrerin geht durch die Reihen und korrigiert, hier eine Beinstellung, hier die Hüfte, da den Winkel des Handgelenks.
    An der Außenmauer des Gebäudes zieht sich eine weiße Markierung über den grauen Verputz, ein breiter Pfeil, der nach unten zeigt. An vielen Stellen ist die Farbe abgeblättert oder durch irgendwelche Ausbesserungsarbeiten überdeckt, aber als Ganzes ist die Markierung gut erkennbar. Ich kenne ähnliche Zeichen aus der Stadt, in der ich lebe, sie zeigten dort die Schutzräume an, die Luftschutzkeller und Schutzbunker, in die sich die Menschen vor den Luftangriffen flüchteten.
    Unter dieser Markierung gehen die Mädchen vorbei, wenn sie die Halle verlassen, lärmend, lachend, und schwärmen aus ins Dunkel der sommerlichen Stadt. Dann sind sie verschwunden und was in der Stille zurückbleibt, ist dieses Rufezeichen, das die Jahrzehnte überdauert hat.
    Zum wiederholten

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