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Berliner Zimmer - Roman

Berliner Zimmer - Roman

Titel: Berliner Zimmer - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haymon
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Brände, ihr Prasseln und der Rauch, der durch die Fenster in alle Räume zieht.
    „Was blieb uns anderes übrig“, erklärt Klara, „das Bett war der einzige Ort, an dem man nicht erfror.“
    Sie sagt es fast entschuldigend, und als Vater sich auf die Toilette flüchtet vor so viel Nähe und so viel Vergangenheit, schweigt sie kurz, dann beugt sie sich wieder zu mir und erzählt flüsternd, wie sie immer wieder nach draußen gelauscht hätten, nach den Schritten ihrer Schwester im Nebenzimmer und nach dem Knallen und Krachen der Brände in den Dachstühlen des Viertels. Und Satz für Satz malt sie ein Geschehen, in dem sich der Schrecken der Kriegsnacht vermengt mit dem lustvollen Versinken zweier Körper, zweier Verzweifelter, die sich ineinanderklammern, um alles rund um sich zu vergessen.
    Die Nacht hätte nie zu Ende sein sollen. Irgendwann vielleicht waren sie kurz eingeschlafen, aber dann lagen sie wieder wach und zählten die Sekunden, die ihnen noch vergönnt waren. Und was machte es, dass einer von den beiden immer noch nach seiner Angst stank, bald rochen beide danach, denn Gestank ist ansteckend. Und was war das schon gegen den beißenden Brandgeruch, der durch die kaputten Fenster in das Zimmer zog. Den Geruch nach brennenden Ziegeln, nach schwelenden Teppichen, nach verbranntem Fell. Die Nacht hätte nie zu Ende sein sollen, aber dann musste einer wieder zurück in seine Kaserne, zu seiner Einheit, in seine Spur, schließlich war er Soldat und eine Entfernung von der Truppe tödlich. Die Kleider waren noch nass, ein Brot noch, das sie ihm schnitt, ein Zeigefinger quer zur Messerkante, der in Erinnerung bleiben sollte. Alles schnell, alles musste schnell gehen, das Essen, das Ankleiden, der Abschied, trotz aller Frühe war es schon spät.
    Mit der Nacht ist die Erzählung zu Ende, denn Vater kommt von der Toilette zurück, ist ungeduldig, will zahlen. Klara lächelt ihm zu, ergibt sich sanft, schließlich ist er doch noch zurückgekehrt.
    Und wie ich meine Münzen auf den Tisch lege, damit Vater das Trinkgeld abzählen kann, lässt er mich wissen, dass ich am besten alles vergessen solle, was er gesagt hätte, schließlich habe er alles erfunden, damit ich zufrieden sei.
    „Jetzt bist du doch zufrieden, mein Sohn“, sagt er und dann kümmert er sich nur mehr um Klara, legt ihr die mitgebrachte Stola um die Schultern, nennt sie seine junge Geliebte und beharrt darauf, dass sie doch noch ein Himbeereis nehmen solle.
    Als wir das Café verließen, war es dunkel. Ich spürte die Feuchtigkeit der Abendluft auf meiner Haut, kühl und verwirrend. Der Himmel, in den ich einen schnellen Blick warf, war ruhig, das Scheinwerferlicht der vorbeifahrenden Autos spiegelte sich auf dem glänzenden Asphalt. Es musste geregnet haben, während wir im Café gesessen hatten. Ich dachte daran, die beiden noch bis zur nächsten U-Bahn-Station zu begleiten und dann in meine Pension zurückzufahren, da sah ich, dass Klara und Vater sich bereits anschickten, die Straße zu überqueren. Mit zwei, drei Schritten wichen sie den Autos aus, setzten über den Gehsteig und drehten sich erst nach mir um, als sie schon unter den ersten Bäumen im Park waren.
    Sie gingen geradeaus weiter, über einen der spärlich beleuchteten Wege, und ich folgte ihnen. Von hinten sahen sie aus wie ein junges Paar, zwei Liebende, zwischen denen sich noch kein Schweigen eingenistet hatte. Sie gingen nebeneinander, mein Vater wieder mit diesen Trippelschritten, die er sich irgendwann angewöhnt hatte und die viele zur Frage veranlasst hatten, ob er einen Iktus hinter sich habe, und Klara mit der aufrechten Haltung einer Vierzigjährigen. Sie redeten unaufhörlich miteinander, zwischendurch blieben sie stehen, vielleicht um etwas zu erklären, etwas, was man im Gehen nicht so genau sagen kann. Dann berührten sie sich gegenseitig am Ärmel oder an der Schulter und wie auf ein geheimes Kommando setzten sie ihren Weg wieder fort.
    Irgendwann begriff ich, dass sie mich vergessen hatten. Sie beachteten mich nicht mehr und auch, als ich stehen blieb, gingen sie ungerührt weiter. Ich ging ihnen noch bis zur nächsten Wegbiegung hinterher, dann beschloss ich umzukehren. Klara und Vater verschwanden weiter vorne langsam aus dem Lichtkreis der Straßenlaterne und tauchten ein in das Dunkel des Parks. Je weiter sie sich von mir entfernten, desto unklarer wurden ihre Umrisse, wurden zu schmalen Schatten, unscharfen Silhouetten, die sich allmählich auflösten.

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