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Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection

Titel: Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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die gefürchtete Deportation nicht stattgefunden hatte. Allein das war ihm ein Rätsel gewesen, am heutigen Tage mehr denn je. Ein fast so großes wie das plötzliche Verschwinden von SS-Obersturmbannführer Curt Holländer, der ihm im Speziallager über den Weg gelaufen und von jetzt auf nachher wie vom Erdboden verschluckt gewesen war. Dafür musste es einen Grund geben, wenngleich er bezweifelte, dass er ihn jemals erfahren würde.
    Seit damals waren mehr als acht Jahre vergangen, und es war an der Zeit, endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Wären da nicht die Verhöre der letzten Tage gewesen, die allesamt um das gleiche Thema gekreist waren.
    »Scheiß Bernsteinzimmer!«, fluchte Jensen, woraufhin sich prompt seine angebrochene Rippe bemerkbar machte. Weshalb sich die Stasi ausgerechnet auf ihn eingeschossen hatte, ging über seinen Horizont. Je länger er über seine Misere nachdachte, desto mehr.
    Weshalb diese ganzen Verhöre, warum ausgerechnet während der letzten acht Tage? Dafür musste es doch, verdammt noch mal, einen Grund geben.
    Alles Zufall? Nie im Leben.
    Und außerdem – wie waren ihm diese Gestapo-Lehrlinge überhaupt auf die Schliche gekommen?
    Die Frage aller Fragen.
    Dank der schallisolierten Zellentür bemerkte Jensen seine herannahenden Bewacher erst, als sich der Schlüssel im Schloss drehte. Zu schwach, um auf die Beine zu kommen, hob er den rechten Arm und schirmte die aufgequollenen Augen gegen das grelle Neonlicht ab, das jeden Moment ins Innere strömen würde. Der einstmals so zähe Friese stöhnte gequält auf. Anscheinend wollen die es ganz genau wissen!, schoss es ihm durch den Kopf, während die innere Tür mit langgezogenem Knarren aufsprang.
    Doch er irrte sich. Zum wiederholten und auch nicht letzten Mal an diesem Tag.
    »Du hast Besuch, Jensen!«, rief ihm der Wärter zu, einer der widerwärtigsten Menschenschinder, die ihm jemals über den Weg gelaufen waren. »Auf geht’s!«
    Ohne groß nachzudenken, biss Jensen die Zähne zusammen und machte den Versuch, sich auf den Beinen zu halten. Dies gelang ihm mehr schlecht als recht. Offenbar kannst du mehr einstecken als gedacht, tröstete er sich in einem Anflug von galligem Friesenhumor. Auf ein Verhör mehr oder weniger kam es bei dem, was er bereits hinter sich hatte, nicht an.
    Oder etwa doch?
     
    *
     
    Für Ole Jensen, auf dem Papier 32, kräftemäßig schlechter dran als ein Greis, sollte dies ein Tag der Überraschungen werden. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.
    Die erste bestand darin, dass er nicht ins Verhörzimmer eskortiert wurde. Stattdessen hieß es Treppen steigen, hinauf ins Obergeschoss. Von dort aus ging es in den Gebäudeflügel, in dem die Büros und Wachstuben lagen.
    Die zweite Überraschung bestand darin, dass die beiden Wärter, normalerweise keine Kinder von Traurigkeit, ihm die Treppen hinaufgeholfen und sich jeglicher Beschimpfungen, geschweige denn Tritten, Remplern oder sonstiger Schikanen, enthalten hatten. Das war keineswegs üblich, an sich ein kleines Wunder.
    Die dritte und vielleicht größte Überraschung war eine ganz andere, kein Vergleich mit dem, was er während der vergangenen acht Jahre durchgemacht hatte.
    Als sich die Tür mit der Aufschrift ›Anstaltsleitung‹ hinter ihm schloss, blieb Ole Jensen die Spucke weg. Nicht etwa, weil die beiden Wärter draußen geblieben waren. Je nach Verhörmethode konnte so etwas durchaus vorkommen. Oder weil der Direktor, den er vom Sehen kannte, überhaupt nicht anwesend war. Der Auslöser für seine Verblüffung war vielmehr der Mann im eleganten Zweireiher und dem makellos weißen Hemdkragen, der mit dem Rücken zu ihm am Fenster stand und in aller Gemütsruhe eine rauchte.
    Jensen stutzte, und der Pfeifton im Ohr, den er einem gezielten Faustschlag zu verdanken hatte, verflüchtigte sich. Ebenso die Befürchtung, er habe Halluzinationen. Ohne jeden Zweifel war er völlig klar im Kopf, ungeachtet des höllisch schmerzenden Schultergelenks und des seltsamen Bildes, das sich ihm bot. Die Art, wie der Besucher dastand, wie er an seinem Glimmstängel zog, wie er ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt hatte, wie er gekleidet war – das alles hatte er zuvor noch nicht gesehen. Die Person war für DDR-Verhältnisse viel zu elegant, erschien fast unwirklich. Darüber hinaus war es vor allem die schlanke Gestalt, die dafür sorgte, dass Ole Jensen den Mund nicht mehr zubekam. Von dem Impuls, auf der Stelle kehrtmachen zu

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