Bernstein-Connection - Klausner, U: Bernstein-Connection
nur ein Vollidiot wie er kommen können. »Nur leider eben zu früh gestorben.«
»Wenigstens weiß ich, wo er begraben liegt.«
»Immerhin etwas, da haben Sie recht«, murmelte Jensen, in Gedanken bei jener Nacht vor acht Jahren, als er den Stollen von Schwalbe V in die Luft gejagt und sich anschließend bis hierher durchgeschlagen hatte. Dass der Gefreite Fröhlich nicht etwa von einer feindlichen Kugel, sondern von Unmengen Schutt, Geröll und Felsbrocken zur Strecke gebracht worden war, hatte er verschwiegen. So genau, fand er, brauchte das Frau Mama auch nicht zu wissen. Manchmal kam man um eine kleine Notlüge eben nicht herum. »Wäre diese amerikanische Granate nicht gewesen, könnte er immer noch leben.«
»Schicksal, Herr Jensen, da kann man nichts machen«, seufzte Luise Fröhlich, erhob sich und öffnete die oberste Schublade der Kommode, in der sie die wenigen Habseligkeiten aufbewahrte, die den Krieg heil überstanden hatten, unter anderem auch das Medaillon, auf dessen Vorderseite der heilige Christophorus zu erkennen war. »Ein Erbstück von meinem Großvater«, verriet sie, das Andenken an ihren Sohn in der flachen Hand. »Hätte meinem Karl Glück bringen sollen. Ich hab’s mir jeden Tag angeschaut – wie im Übrigen auch Ihre Uniform, Ole. Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie mit dem Vornamen anrede, oder?«
»I wo, Frau Fröhlich, wo denken Sie hin!«, beteuerte Jensen, dem Ziel seines Besuches einen Riesenschritt näher, wenngleich er sich reichlich schäbig, um nicht zu sagen wie der letzte Mensch vorkam. ›Ihre Uniform‹ – denkste!, fuhr es ihm durch den Sinn, voller Verachtung für sich selbst und die Schmierenkomödie, welche er gerade inszenierte. Um den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, blieb ihm jedoch nichts anderes übrig, deshalb spielte er lieber den Ahnungslosen. »Wenn mich jemand duzen darf, dann Sie.« Jensen räusperte sich und nippte an seiner Tasse. »Wenn wir gerade dabei sind, Mutter Fröhlich …«, druckste er herum, »würde es Ihnen etwas ausmachen, mir die Uniform kurz zu …, aber nur, falls es Ihnen nichts …«
»Es ist wegen der Stiefel, stimmt’s?«
Wie vom Donner gerührt, zuckte Jensen zusammen, stammelte ein paar zusammenhanglose Worte und verstummte.
»Wegen des ausgehöhlten Absatzes, in dem diese Karte versteckt war.« Als sei nichts geschehen, legte Luise Fröhlich das Medaillon wieder in die Schublade, ließ ihren Gast links liegen und trat ans Wohnzimmerfenster, von wo aus sie einen auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkten BMW 501 beobachtete, dessen Fahrer nervös auf dem Steuer herumtrommelte. »Beziehungsweise das, was von ihr übriggeblieben ist.«
»Tut mir leid, Mutter Fröhlich, aber es ist so, dass …«
»Muss es nicht, junger Mann, muss es nicht. Der Krieg hat eben seine eigenen Gesetze, verändert die Menschen von Grund auf, verdirbt sie bis ins Mark. Warum, frage ich mich, sollten ausgerechnet Sie da eine Ausnahme sein? Ein bisschen viel verlangt, finden Sie nicht auch?«
»Und woher …«
»Weshalb ich so genau im Bilde bin, wollen Sie wissen? Karl hat mir geschrieben, das letzte Mal mit Datum vom 30. Mai. Feldpostbrief, bezeichnenderweise ohne Absender. Er und zwei andere Kameraden würden in Kürze zu einem geheimen Kommandounternehmen abkommandiert, hieß es da. Unter Federführung der SS. Sicherstellung von Kunstschätzen, aber das sei nur so ein Gerücht. Keine Ahnung, wieso der Brief nicht zensiert worden ist. Hing wahrscheinlich mit dem allgemeinen Chaos zusammen, was weiß ich.« Luise Fröhlich zog den Vorhang, den sie im Verlauf des Gesprächs einen Spaltbreit geöffnet hatte, wieder zu und ließ ihren Blick auf einem sichtlich geknickten Ole Jensen ruhen. »Ein Freund von Ihnen?«, fragte sie geraume Zeit später und deutete über die Schulter hinweg zum Fenster.
»Das nun nicht gerade«, bekannte Jensen zerknirscht.
»Sondern?«
»Das genaue Gegenteil davon.«
»Verstehe«, antwortete Luise Fröhlich. Und wechselte rasch das Thema: »Sie sind kein gewöhnlicher Landser gewesen, stimmt’s?«
Jensen verneinte. »Wie sind Sie drauf gekommen?«
»Auf Ihr Versteck im Stiefelabsatz? Purer Zufall.« Luise Fröhlich strich sich über die grauen, wie eine Eins gescheitelten und zu einem Knoten geflochtenen Strähnen. »Irgendwann habe ich mir gedacht, es sei an der Zeit, Ihre Stiefel wieder auf Vordermann zu bringen. Vor allem den linken, der war ganz schön ausgelatscht. Ich denke, Sie können sich
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