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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Er lächelte schwach.
    „Nun, warum? Ich meine, du kannst doch nicht …“
    „Ich bin nicht überall aus Plastik.“ Er runzelte die Stirn und pochte mit gefühllosen Fingern gegen Stein.
    „Gott, das bin ich nicht. Ich wünsche es mir zwar manchmal, aber ich bin es nicht.“
    „Keine? Keine wollte dich haben?“
    „Branduin …“ – er hielt ihrem fragenden Blick stand – „… du gehst jetzt besser wieder hinab. Schlaf dich aus. Morgen wirst du darüber lachen und dir einen netten Schwanz in der Bar aufgabeln, mit dem du dich amüsieren kannst. Komm in fünfundzwanzig Jahren wieder, wenn du aus dem All zurück bist, und sage mir, was du alles erlebt hast.“ Er strich zögernd mit seiner echten Hand über ihre Wange. Sie beugte den Kopf unwillkürlich der Zärtlichkeit entgegen. „Leb wohl.“ Er ging hügelaufwärts.
    „Maris …“
    Er blieb zitternd stehen.
    „Danke für den Brandy …“ Sie kam an seine Seite und hielt seinen Gürtel fest. „Wahrscheinlich wirst du mich hochziehen müssen.“
    Er zog sie an sich und küßte sie, seine Hände glitten ungläubig über ihren Körper.
    „Es ist sehr, sehr spät. Beeilen wir uns.“
    Maris erwachte verwirrt durch das Geräusch klappernder Fensterläden. Er hob den Kopf und wurde von den Farben der Dämmerung geblendet, vor denen sich Brandys scharf umrissener Schatten am Fenster abhob. Er verließ das zerwühlte Bett und gesellte sich zu ihr ans Fenster. „Was machst du da?“ Er gähnte.
    „Ich wollte den Sonnenaufgang sehen. Ich habe seit Monaten nur Schwärze gesehen. Schau, der Nebel hebt sich bereits, die Sonne verbrennt ihn. Sie steht über den Bergen in Flammen …“
    Er strich durch ihr bleiches, goldenes Haar unter der Korona des Lichts. „Und sie verglüht im Tal.“
    Sie sah hinaus über das Nebelfeld, das langsam eine rötliche Färbung annahm, und dann wieder zurück. „Guten Morgen.“ Sie begann zu lachen. „Ich bin froh, daß du keine Nachbarn hast.“ Sie waren beide nackt.
    Er grinste. „Das gefällt mir hier so.“ Er legte die Arme um sie. Sie schmiegte sich näher an seine Wärme.
    Danach betrachteten sie beide gemeinsam vom Bett aus den Sonnenaufgang.
    Gegen Abend kam sie mit der Mannschaft der Küß und Rate-736 in die Bar. Sie winkten ihm zu, nickten zu ihr hinüber und verschwanden in blauen Schatten. Sie stand lächelnd vor ihm. Plötzlich merkte er, daß neun Stunden eine lange Zeit waren.
    „Das ist die Besatzung meines Ausbildungsschiffes. Sie möchten gerne etwas Weißwein in einer Flasche, egal welchen.“
    Er griff unter die Theke. „Und einen Brandy auf Rechnung des Hauses?“ Er schickte das Tablett los.
    „Hallo, Maris …“
    „Hallo, Brandy …“
    „Auf nebelverhangene Morgen.“ Sie tranken gemeinsam.
    „Übrigens …“ – sie sah ihn schüchtern an – „… ich habe das Gerücht in Umlauf versetzt, daß, was dich betrifft, schon viele Frauen etwas verpaßt haben.“
    „Danke“, sagte er ernst. „Aber ich glaube nicht, daß ich meine Meinung ändern werde.“
    „Du hast doch Ntaka gelesen – Xenophobie. Für die meisten Leute in den meisten Kulturen sind Cyborgs etwas Unnatürliches, das bestenfalls Ähnlichkeit mit einer Leiche hat. Man muß nekrophil veranlagt …“
    Sie runzelte die Stirn.
    „… oder etwas Besonderes sein. Du bist die erste besondere Person seit hundert Jahren, der ich begegnet bin.“
    Das gerade erst geformte Lächeln erlosch. „Maris, du bist keine fünfundzwanzig mehr, was? Aber wie alt bist du dann?“
    „Etwa hundertfünfzehn.“ Er wartete auf ihre Reaktion.
    Sie erstarrte. „Aber du siehst wie fünfundzwanzig aus! Du bist wirklich … Alterst du denn nicht?“
    „Doch, schon. Etwa fünf Jahre pro Jahrhundert.“ Er zuckte die Achseln. „Die Prothesen verlangsamen den Alterungsprozeß des Körpers. Liegt vielleicht daran, daß nur noch mein halber Körper eine dauernde Regeneration braucht, vielleicht ist es aber auch eine Folge der Behandlung gegen Gewebeabstoßung. Niemand versteht den Grund. Kommt eben manchmal vor.“
    „Oh.“ Sie schien verlegen. „Das also hast du mit ‚Komm zurück und sage mir, was du erlebt hast’ gemeint. Und sie meinten … Wirst du wirklich tausend Jahre leben?“
    „Wahrscheinlich nicht. Ein lebensnotwendiges Teil wird vielleicht in zwei oder drei Jahrhunderten ausfallen. Nicht mal Plastik hält ewig.“
    „Oh …“
    „Man lebt länger und hat weniger Freude daran. Abgesehen von heute. Was hast du heute getan? Dich

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