Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
keine Geschichte in den Winkeln meines Verstandes, die nur darauf wartete, geschrieben zu werden. Ich mußte mir also etwas völlig Neues aus dem Hut ziehen – oder aus meiner Ideenkartei, wie das in diesem Fall war.
Eine Ideenkartei ist ein außerordentlich nützliches Werkzeug für einen Schriftsteller. Ich verwende Karten von der Größe 8 mal 12 Zentimeter, um meine Sammlung in Ordnung zu halten. Oftmals genügt eine einzige Idee nicht für eine ganze Geschichte, und dann zahlt es sich aus, mehrere Ideen zusammenzufassen. Sollte es notwendig sein, kann man die Karten ausbreiten, kombinieren und immer wieder kombinieren, bis sie interessante Resonanzen bilden, die dann eine Geschichte ergeben. Genau das habe ich getan, um Bernsteinaugen zu schreiben.
Ich begann mit der Idee einer emotionalen (aber keinesfalls physischen) Beziehung zwischen einem Menschen und einem Außerirdischen, etwas, worüber ich in einem Buch über einen Indianer und einen Wolf gelesen hatte. Hinzu fügte ich einen Traum über eine Meuchelmörderin in einer mittelalterlichen Szenerie, den ich gehabt hatte. Ich griff den Vorschlag meines Mannes Vernor auf, die Handlung auf Titan anzusiedeln, einem Mond des Saturn, gleichzeitig einer der wenigen verbliebenen Himmelskörper im Sonnensystem, dem die Wissenschaftler das Potential für intelligentes Leben zugestehen. Da ich mich hin und wieder auch von Musik inspirieren lasse, fügte ich noch ein Element aus einem Song von Buffy St. Marie über einen „demon lover“, einen Dämonenliebhaber, hinzu. All diese Elemente integrierend, erschuf ich den grundlegenden Rahmen der Geschichte. Und als ich den erst einmal konstruiert hatte, setzte ich mich hin und schrieb und schrieb, manchmal zwölf Stunden täglich. Ich schreibe wie gesagt nur sehr, sehr langsam und konstant. Um mehr und schneller zu schreiben, bin ich gezwungen, lange Stunden zu schreiben, und der Prozeß des Schreibens ist häufig eine Art ausgedehntes Tagträumen, fast Meditation. Mein Körper verkrampft sich dauernd, wenn er gezwungen wird, stundenlang unbeweglich dazusitzen, doch der knappe Termin bewies mir, daß ich meine Produktionsrate durchaus auch steigern kann.
Doch nachdem ich die Geschichte vollendet hatte, fühlte ich eine seltsame Entfremdung von ihr, denn sie war „herausgepreßt“ worden und hatte kaum Zeit gehabt, sich zu entwickeln. Schreibe ich eine Geschichte mit „normaler“ Geschwindigkeit, habe ich mehr Zeit und Gelegenheit, mich den handelnden Personen zu widmen, als das bei dieser hier der Fall war. Ich war daher verblüfft, als ich einen Brief erhielt, der besagte, daß sie für den Hugo nominiert worden war. In diesem Augenblick wurde mir klar, daß die Geschichte mich zwingen wollte, sie zu mögen. Ich schwor mir, sollte sie den Hugo tatsächlich gewinnen, dann würde ich mich wie die böse Stiefmutter für meinen Mangel an Vertrauen bei ihr entschuldigen müssen … Das habe ich getan, und ich hoffe, die Tatsache, daß ich sie zur Titelgeschichte dieser Sammlung gemacht habe, ist Abbitte genug.
Obwohl Bernsteinaugen im Grunde genommen als reine Abenteuerstory geschrieben worden ist, ist doch eines der zugrunde liegenden Themen (und, wie ich hoffe, mit ein Grund, weshalb sie den Hugo gewann) das der Kommunikation: der Kommunikation mit außerirdischen Wesen (die ganz einfach auch nur andere Menschen sein können) – die Vorstellung, daß hinter jeder wirklichen Kommunikation Verständnis liegt und daß wir mit Verständnis möglicherweise unsere Ängste überwinden können. Ich stelle auch das Recht einer Person oder Gesellschaft in Frage, sich in die internen Wertvorstellungen und Gegebenheiten einer anderen Kultur einzumischen – denn können wir wirklich sicher sein, daß unsere Wertmaßstäbe, die wir ihnen aufzwingen wollen, besser sind als diejenigen, die sie selbst haben? Haben wir das Recht zu richten? Das Leben besteht aus vielerlei Grautönen, nicht nur aus Schwarz und Weiß, nicht nur aus absoluten Maßstäben für Recht und Unrecht. Darauf gibt es keine einfache Antwort, weder für die handelnden Personen noch für den Autor, noch für den Leser.
Die Katze locken
TO BELL THE CAT
Wieder ertönte ein tierischer Schmerzlaut aus der zwanzig Meter entfernten Zeltkuppel. Juah-u Corouda zuckte unwillkürlich zusammen, als er den Würfelbecher mit den geschnitzten Spielsteinen ausleerte, wodurch er seinen Wurf zunichte machte. „Teufel … eine Triade! Zum Teufel mit diesem Lärm,
Weitere Kostenlose Bücher