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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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überlastet sein.“ Er lehnte sich zurück und versuchte, Orrs Gesicht hinter der konvexen Krümmung der Wand zu erkennen. Er sah jedoch nur drei Helmlampen weit über ihm, die in die Spalte herabschienen.
    „Behalt den Kopf oben, damit wir dich sehen können. Wir werden dir ein Seil runter lassen.“ Er erkannte Coroudas Stimme, und schon sah er, wie das Seil sich herunterschlängelte. „Binde es um deine Hüfte.“
    Das Ende des Seils hing etwa einen halben Meter über seinem Kopf. Er kämpfte sich ein Stück nach oben und griff danach, doch seine schmutzigen, nassen Handschuhe konnten die Fasern nicht festhalten. Er stürzte zurück und sank noch tiefer. „Es ist zu k-kurz. Ich schaff s n-nicht.“
    „Dann binde wenigstens die Schachtel mit den Proben daran fest.“
    „Ich kann es nicht erreichen!“ Er schlug mit der Faust gegen die Felswand. „Ich sinke immer tiefer. Ich werde gekocht. Holt mich raus!“
    „Nicht bewegen“, sagte Corouda tonlos. „Sonst wirst du noch tiefer sinken. Dein Anzug wird dich noch mindestens fünfzehn Minuten schützen. Versuch dich an der Wand festzuhalten. Wir kommen gleich mit besserer Ausrüstung zurück. Halt aus.“
    „A-aber …“
    „Und laß auf keinen Fall die Schachtel los.“
    „Ja, Doktor …“ Das Dreigestirn verschwand aus seinem Gesichtsfeld, dann konnte er auch den Rand der Kluft nicht mehr erkennen. Er konnte beide Wände berühren, ohne die Arme ausstrecken zu müssen. Er fand einen vorstehenden Sims und stellte die Probenschachtel darauf, sich mit dem Ellbogen abstützend. Dampf kondensierte auf seinem Helmvisier, und er wollte ihn wegwischen, verschmierte aber statt dessen Wasser und Schlamm über die Scheibe. Die Trogs hatten sich auch wieder etwas gefaßt, als würden sie mit ihm warten. Außer seinem eigenen raschen Atmen war kein Laut zu hören. Die Felsenfalle schnitt ihn vollkommen von der Außenwelt ab, sogar von der Beruhigung durch eine andere menschliche Stimme. Plötzlich war er froh, wenigstens die Gesellschaft der Trogs zu haben.
    Minuten verstrichen. Plötzlich begann er, in seiner Falle darüber nachzudenken, was geschehen könnte, würde ein erneuter Erdstoß den Spalt von oben verschütten … Würde sein Anzug versagen …? Schweiß rann ihm wie ein Tränenstrom übers Gesicht. Er schüttelte den Kopf, ohne entscheiden zu können, ob er wegen der Hitze so schwitzte oder aber wegen der Anstrengung des Wartens. Sein Anzug konnte beim Fall beschädigt worden sein, vielleicht war radioaktiver Schlamm eingedrungen, ohne daß er es bemerkt hatte. Er selbst war schon bei einigen von Orrs Experimenten Strahlung ausgesetzt gewesen und hatte sich hinterher immer speiübel gefühlt, und einmal waren ihm sogar alle Haare ausgefallen. Aber er hatte noch nie zusehen müssen, wie das Fleisch von seinen Knochen faulte und sein Körper vor seinen Augen verfiel …
    Seine gefühllose Hand rutschte von dem Sims ab, und er sank in den Schlamm zurück. Keuchend und schluchzend zog er sich wieder hoch. Er hatte zuviel Phantasie, das sagte ihm Orr auch immer. Orr hatte ihm auch Methoden beigebracht, während der Experimente seine Panik unter Kontrolle zu halten und biologische Funktionen bewußt zu steuern. Eigentlich hätte er inzwischen genug wissen müssen, um nicht den Kopf zu verlieren. Aber es gab Zeiten, da reichte auch sein ganzes Wissen nicht aus. In solchen Augenblicken kam er dem völligen Verständnis dessen, was Piper Alvarian Jary getan hatte und weswegen er seine Strafe verdiente, am nächsten.
    Er entspannte sich, atmete ruhiger und konzentrierte sich auf Faßbares und Reales: die zerfressene Mondlandschaft der Felswand vor seinem Gesicht, den Schmerz in seiner Hand, die er sich beim Sturz angeschlagen hatte. Er empfand das pulsierende Gefühl des Schmerzes als Beweis, daß er am Leben war, und genoß es mit einem hungrigen Schuldgefühl, das von der Angst noch verstärkt wurde. Die spiegelähnlichen Glubschaugen der Trogs starrten zum Fenster der Schachtel heraus, sie reflektierten das Licht und schauten immer noch durch ihn hindurch, als würden sie in eine andere Welt sehen. Dann erinnerte er sich, daß sie das tatsächlich konnten, und er drehte unbehaglich den Kopf hin und her. Er erstarrte, als das winzige Gesicht eines Trog durch die Wasseroberfläche brach, dann tauchte noch einer neben seiner Brust auf und noch einer … zwei, drei … Plötzlich waren es ein halbes Dutzend.
    Erfüllt von einer Zielstrebigkeit, die er noch nie

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