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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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gequälte Unterwelt. Er fragte sich kurz, ob der Geruch unangenehm sein würde, wenn er den Helm seines Strahlenschutzanzuges abnahm. Ein anderer hätte vielleicht an die Hölle gedacht, aber dieser Vergleich kam ihm nicht in den Sinn.
    Er stolperte und stürzte schmerzvoll gegen eine spitze Felskante. Orrs vermummte Gestalt, die im Licht seiner Lampe glitzerte, wandte sich zu ihm zu. „Paß gefälligst auf.“
    Er tastete nach dem wuchtigen Container, der an seiner Hüfte befestigt war, um sich zu vergewissern, daß er den Inhalt nicht etwa verloren hatte. Im Innern, unruhig übereinanderkriechend, befanden sich etwa ein halbes Dutzend der unruhigen, rattengroßen Troglodyten, die sie während dieses Ausfluges gefangen hatten. Er richtete seinen Scheinwerfer auf sie, aber sie antworteten nicht, sondern starrten nur stumpfsinnig aus dem Beobachtungsfeuer heraus und durch ihn hindurch. „Schon gut, D-doktor.“
    Orr nickte und ging weiter. Jary duckte sich unter einem schimmernden Stalaktiten und eilte rasch weiter, bevor das Sicherungsseil sich straffen konnte. Er war für dieses Seil dankbar, obwohl er gehört hatte, wie der Wächter namens Hyacin-Soong es einmal als Geißel bezeichnet hatte. Hyacin-Soong folgte nun mit dem anderen Wächter, der ihn heute morgen zum Squamischspielen aufgefordert hatte, hinterher. Er rechnete nicht damit, daß sie ihn nochmals auffordern würde; er wußte, er hatte Hyacin-Soong irgendwie verärgert – vielleicht nur durch seine bloße Existenz. Corouda behandelte ihn immer noch mit wohlwollender Gleichgültigkeit.
    Jary betrachtete erneut die Trogs und wünschte sich plötzlich, Orr würde sie aufgeben und ihn mit nach Hause nehmen. Er wünschte die Sicherheit des Simeu-Institutes, die Sicherheit des Bekannten. Er fürchtete seine Unbeholfenheit in dieser fremden Umgebung, fürchtete das Fremde, fürchtete sogar, Orr zu erzürnen … Er stieß die Luft in seinen angespannten Lungen mit einem tiefen Seufzer aus. Natürlich fürchtete er sich. Dazu hatte er auch allen Grund. Er war Piper Alvarian Jary.
    Aber Orr würde seine Forschungen an den Trogs nie aufgeben, wenn er nicht Erfolg hatte oder ihm die Proben ausgingen. Vor allem anderen wollte Orr herausfinden, wie sie sich innerhalb einer geologisch sehr kurzen Zeitspanne an die Umwelt der Höhle hatten anpassen können – jeder Beteiligte an der Expedition wollte das wissen. Doch schon die grundlegendsten biologischen Fragen zu beantworten, machte Schwierigkeiten. Was für Funktionen hatten die vier verschiedenen Typen, die er beobachtete? Wie vermehrten sie sich, wo sie doch offensichtlich, wenigstens nach menschlichen Maßstäben, geschlechtslos waren? Welche ökologischen Aufgaben erfüllten sie mit ihren hoffnungslos unterentwickelten Gehirnen? Und vor allem: Wie war ihre Existenz thermodynamisch überhaupt möglich? Orr glaubte, daß sie ihre Nährstoffe direkt aus dem radioaktiven Schlamm bezogen, doch nicht einmal er konnte sich vorstellen, daß ihre Nahrungskette bei radioaktiver Fusion endete. Die Trogs selbst waren nur schwach radioaktiv, ihre Körperchemie basierte auf Kohlenstoff, sie konnten hohe Drücke ertragen und empfingen Stimuli auch aus dem extremen KW-Sektor des elektromagnetischen Spektrums. Das war alles, was Orr bisher mit Sicherheit herausgefunden hatte.
    Jary klammerte sich mit seiner behandschuhten Hand an der rauhen Felsoberfläche über dem Grat fest, der immer schmaler wurde, und erinnerte sich daran, wie er einst, als er allein gewesen war, den Handschuh abgenommen und einen von den Trogs in die bloße Hand genommen hatte. Sein schuppiger, purpurgrauer Körper war nicht, wie erwartet, kalt und glitschig, sondern warm und angenehm gewesen. Er hatte ihn so lange wie möglich festgehalten und das Gefühl seiner Bewegungen, die fremdartige Beschaffenheit seiner Haut genossen. Er hatte den kleinen, nicht reagierenden Körper gestreichelt, der, ohne sich stören zu lassen, immer und immer wieder dieselben Bewegungen ausgeführt hatte, wie eine programmierte Maschine. Und seine Hände hatten wegen derselben Verwirrung und Scham gezittert, die er immer empfand, wenn er mit den Experimentiertierchen zu tun hatte …
    Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er unschuldig mit den weichen, pelzigen, rosaäugigen Mäusen und Kaninchen, den flinken, neugierigen Affen spielen können. Aber dann hatte Orr ihn zu seinem Assistenten ausgebildet, und das Beobachten fortschreitender Krankheiten, das Abwischen von Blut,

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