Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
Vom Netzwerk:
für sicher. Und nach zwanzig Jahren stürzt meine Fassade der Selbstkontrolle und Disziplin bei der leisesten Berührung zusammen. Was für eine selbstverblendete Heuchlerin ich doch gewesen bin! Wußten Sie, daß ich vor achtzehn Jahren den Himmel als blauen Parasol bezeichnet habe? Und vor fünfzehn Jahren wahrscheinlich wieder … und dann vor zehn, vor fünf …
    Morgen werde ich die 1000-AE-Marke passieren.
     
    DONNERSTAG, DER 12.
    Ich habe das Skop ausgebrannt. Ich habe das Skop ausgebrannt. Ich ließ es auf die Erde gerichtet, und als in der Nacht der Laserstrahl eintraf, traf er es mitten ins Zentrum und brannte es aus. Ich schäme mich so … Habe ich das unterbewußt etwa absichtlich getan?
    („Gute Nacht, Sternenlicht. Orrk. Gute Nacht. Gute …“)
    („Verdammt! Ich will eine andere menschliche Stimme hören …!“)
    (Echo: Stimme hören, Stimme hören, Stimme hören …)
    Als ich herausfand, was ich getan hatte, lief ich weg, ich lief und lief durch die Korridore … Aber ich lief nur im Kreis herum … dieses Observatorium, mein Gefängnis, ich selbst … ich kann nicht entfliehen. Im Endeffekt werde ich doch immer wieder hierher zurückkommen, in diesen Raum mit den grünen Wänden, dem Schreibtisch und den Terminals, den Spinden, in denen tausenderlei Zeug herumliegt, Toilettenpapier, Magnetband und Sauerstofftanks … Und ich könnte Ihnen ganz genau sagen, wie viele Schritte es bis zu meinem Bett sind, wie lange ich brauchte, bis ich den Afghan-Teppich über dem Bett fertiggehäkelt hatte … wie lange ich in Stille und Finsternis dasaß, um ein Belichtungsprogramm aufzustellen, oder wie lange ich dem kaum wahrnehmbaren Pulsieren der zwei Milliarden Lichtjahre entfernten Radiogalaxis zugehört habe. Niemals wird etwas Neues eintreten, nie wird sich etwas ändern.
    Als ich endlich wieder herkam, erwartete mich eine Nachricht. Weems grinste mich halb besoffen vom Bildschirm an. „Meinen Glückwunsch“, brüllte er. „Ein historisches Ereignis! Emmylou, wir feiern hier etwas im Labor, so wie du jetzt wahrscheinlich auch, tausend Astronomische Einheiten von Zuhause entfernt …?“ Ich habe ihn noch nie zuvor betrunken gesehen. Sie wollten mir wohl wirklich eine nette Überraschung bereiten, als sie das alles sechs Tage im voraus planten …
    Meine Feier bestand darin, daß ich Obszönitäten brüllte, von denen ich zuvor nicht gewußt hatte, daß ich sie überhaupt kannte, bis meine Stimme gebrochen und heiser klang.
    Danach saß ich lange Zeit am Tisch und hielt ein Messer in der Hand. Ich wollte nicht sterben – ich hatte immer zu große Angst vor dem Tod, um so etwas zu tun –, aber ich wollte mich verletzen. Ich wollte mir eine Wunde beibringen, um meine Gedanken von dem schrecklichen Ding abzuwenden, das mich wie ein implodierender Stern in mein eigenes Innerstes saugen will. Vielleicht auch nur, um mich zu bestrafen. Ich weiß es nicht. Aber ich überdachte die Möglichkeit, mich tatsächlich zu schneiden, sehr ruhig, während ein anderer Teil in mir bei dem Gedanken entsetzt war. Ich preßte das Messer sogar gegen mein Fleisch – aber dann legte ich es wieder weg. Es schmerzt zu sehr.
    So kann es nicht weitergehen. Ich habe Aufgaben und Pflichten, denen ich kaum mehr nachkommen kann. Was würde ich nur ohne die Automechs für Notfälle anfangen? Aber mein Leben liegt noch vor mir, und sie können mir meine Aufgaben nicht ewig abnehmen …
    Später.
    Ich hatte gerade einen Besucher. So seltsam das auch klingen mag. Noch seltsamer – es war Donald Duck. Ich empfing heute einen Teil einer Zeichentrickserie für Kinder, seit vielen Monaten das erste Stück eines indirekten, nicht zielgerichtet für mich abgestrahlten Fernsehprogramms, das ich empfangen konnte. Ich glaube, ich habe mich noch nie so gefreut, jemanden zu sehen. Was für eine nette Überraschung, wie schön, daß Sie mal reinschauen konnten … Ozymandias hat sich sofort in ihn verliebt. Er hängt von seiner Stange herab, hat in einer Klaue einen Keks, gackert und sagt: „Gib Küßchen, schmatz, schmatz, schmatz …“ Wir haben es uns dreimal angesehen, eine Weile habe ich sogar darüber gelacht, bis ich mich dann wieder gefangen hatte. Es hilft. Vielleicht werde ich es mir wieder bis zum Schlafengehen ansehen.
     
    FREITAG, DER 13.
    Freitag, der dreizehnte. Komisch. Armer Freitag der dreizehnte – was hat er je getan, um seinen schlechten Ruf zu rechtfertigen? Selbst wenn ich die Macht hätte, mein Leben elend zu

Weitere Kostenlose Bücher