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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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gestalten, ich könnte bis zum Wochenende keine Kerze mehr halten. Seit dem letzten Wochenende scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein.
    Heute habe ich das Skop repariert; ich ersetzte die ausgebrannten Teile. Ich mußte den Anzug anlegen und einen Teil der Arbeiten draußen ausführen … Ist schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal draußen war. Seltsam, wie entsetzlich und doch auch wieder wie euphorisch es ist, vollkommen allein im All den ersten Schritt aus der Schleuse heraus zu tun. Man ist so völlig allein, so total von jeder Hilfe abgeschnitten, so weit entfernt von allem. In diesem Augenblick zweifelt man an sich selbst, plötzlich, entsetzlich … nur einen Augenblick lang.
    Doch dann zieht man sein Halteseil hinter sich her und stapft mit den Magnetschuhen über die Außenhülle, und dabei fühlt man sich dann so ruhig und sicher wie Bleiballast. Man schaltet das Licht ein und sucht nach den Schadstellen, hat man sie gefunden, macht man sich an die Arbeit, nichts kümmert einen mehr … Wenn das eigene Leben scheinbar der Kontrolle entglitten ist und frei umhertreibt, dann stellt die Arbeit mit den Händen immer eine Art Anker dar, egal, ob es sich um einfache Routinearbeit oder kompliziertestes Tüftelwerk handelt.
    Ich geriet einen Augenblick in Panik, als ich tatsächlich gelöste Kabel und geschmolzenes Metall sah, denn ich stellte mir vor, der Schaden könnte tatsächlich so groß sein, daß er unmöglich zu reparieren wäre. Es sah so endgültig aus, so … unausweichlich. Ich klammerte mich eine Weile fest und verbarg die Hände im Schoß und wimmerte wie ein großes Baby. Doch dann riß ich mich wieder zusammen und flickte hier und schraubte da … eins nach dem anderen. Ich reparierte alles. Schritt für Schritt, wie wir durchs Leben gehen.
    Als ich damit fertig war, fühlte ich mich zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig ruhig. Dieses Ding, das mich in letzter Zeit fast zu Tode gewürgt hatte, schien bei dieser Demonstration meiner Kompetenz ein wenig von mir gewichen zu sein. Seitdem atme ich wieder leichter, habe aber immer noch nicht viel Kraft. Ich habe sie aufgebraucht, um meine Trägheit zu überwinden.
    Ich schaltete hinterher das Licht ab und spazierte noch eine Weile auf der Hülle umher – ich konnte nicht wieder hineingehen. Ich betrachtete die schwarze, konvexe Schüssel des Sonnensegels, dann die kleinere Schüssel der Funkantenne, die die Sterne verdeckte, während der Observatoriumszylinder endlos im Zentrum des kreisenden Parasols rotiert …
    Das machte mich schwindlig, und daher betrachtete ich die Sterne rechts und links von mir. Sogar mit meinen armseligen, unverstärkten Sinnen gibt es hier draußen, wo Staub und Dunst und der Glanz der Sonne keine Störfaktoren bilden, so viel mehr zu sehen. Die Leuchtkraft der Milchstraße, die Tiefen voller Sterne und Sternennebel, der Anblick fernster Galaxien – das ist so atemberaubend wie die Erkenntnis, daß ich für immer und ewig in einem nicht kartographierten Meer verloren bin.
    Seltsam, obwohl dieser Gedanke außerordentlich starke Gefühle in mir freisetzte, waren es doch keine negativen: Sie bewegten sich innerhalb einer völlig anderen Werteskala, wie das Universum selbst. Es war, als würde das Universum persönlich einen Finger ausstrecken, um mich zu berühren. Und indem es mich berührte, indem es mich auswählte, wies es nur noch deutlicher auf meine eigene Bedeutungslosigkeit hin.
    Irgendwie war das sehr beruhigend. Wenn man mit einer so überlegenen und absoluten Gleichgültigkeit der Ewigkeit und Unendlichkeit konfrontiert wird, dann schrumpft das geschwollene Ego der eigenen Selbstüberschätzung rapide zusammen …
    Ich erinnerte mich an eine Tatsache hinsichtlich des Weltraums, die mir immer wichtig gewesen war – daß hier jeder einen Anzug anlegen muß, wenn er hinausgehen will. Wir sind alle Außerirdische, keiner ist für das Überleben besser ausgestattet als der andere. Hier draußen bin ich so normal wie jeder andere.
    An diesem Gedanken muß ich festhalten.
     
    SAMSTAG, DER 14.
    Es gibt einen Grund für mein Hiersein. Es gibt einen Grund.
    Heute früh war ich wieder imstande zu meditieren. Aber nicht auf die alte, übliche Weise, indem ich meinen Verstand leerte, sondern indem ich die Fragen den Raum erfüllen ließ und sie nicht bekämpfte. Ich ließ sie sich mit meinen Erinnerungen an das Vergangene verschmelzen. Ich schaltete Musik ein, diesen großartigen geistigen Stimulus, und ließ die

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