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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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begann er zu filmen. Er konnte die einzelnen Gestalten anhand der unterschiedlichen, bunten geometrischen Muster auf ihren Anzügen auseinanderhalten. Da war der Alte Mann Siamang, der die Einzigartigkeit eines einzigen Menschenlebens pries, kein Opfer war zu groß, diesen Mann zu retten – zumal ein Fund damit verbunden war, der sich als Segen für alle Bewohner des Demarchy erweisen konnte … Dartagnan schüttelte hinter dem schützenden Helmvisier den Kopf. Das Demarchy war eine absolute Demokratie, seine Philosophie besagte „Jeder für sich“, es sei denn, er kam dabei zu vielen anderen in die Quere – oder er besaß etwas, das zu viele andere besitzen wollten.
    Chaim wußte – denn es gehörte zu seinem Geschäft, so etwas zu wissen –, daß ein Prospektor auf Planet Zwei gestrandet war, nachdem sein Schiff flugunfähig geworden war. Man hatte die gefunkten Notrufe des Prospektors aufgefangen. Und da der Mann wußte, daß man seinetwegen allein keine Rettungsaktion starten würde, hatte er enthüllt, daß er eine erhebliche Menge von Relikten aus der Zeit vor dem Krieg gefunden hatte, darunter Computerprogramme, mit deren Hilfe man den Verdampfungsprozeß jeder Destille effektiver gestalten konnte.
    Die Destillen gehörten zu den wenigen unabhängigen Gesellschaften des Demarchy, die sich eine solche Rettungsaktionen leisten konnten, und der Fund des Prospektors verschaffte ihnen eine zusätzliche Motivation. Siamang und Söhne verfügten über ebensoviel Motivation wie alle anderen, aber sie hatten einen weiteren, entscheidenden Vorteil auf ihrer Seite: Nur sie verfügten über die Triebwerke für eine Landung auf dem Planeten. Und außerdem würden Siamang und Söhne zu den ersten gehören, die Planet Zwei erreichen konnten, was es sehr wahrscheinlich machte, daß ihnen auch die Rechte an dem Preis zufallen würden.
    Der Alte Mann Siamang hatte seine Ansprache beendet, und die Repräsentanten der anderen Destillen antworteten mit aller Freundlichkeit, die ihr stummer Applaus beinhalten konnte. Sabu Siamang, der Sohn des Alten, sein Erbe, steuerte ein paar gleichermaßen freundliche Worte bei. Großartige Kopie. Siamang schickte seinen eigenen Sohn auf eine Reise ins Unbekannte, auf eine Welt, die nicht nur eine eigene Schwerkraft hatte, sondern möglicherweise auch noch über eine Atmosphäre verfügte. Vielleicht gab es keinen anderen, dem Siamang vertraute, doch Dartagnan hatte auch Gerüchte über andere Gründe gehört, aus denen heraus der alte Mann wollte, daß sein Erbe etwas von der Realität zu spüren begann und Verantwortung übernehmen mußte. Der junge Siamang sagte seinem Vater auf Wiedersehen – eventuelles Mißbehagen war wohl unter einer Maske höflichen Respekts verborgen –, danach seiner Frau, Dartagnan war überrascht, daß eine Frau in ihrer Position an die Oberfläche kam, wenn auch nur für so kurze Zeit. Ihre Stimme war ruhig und gelassen, wie die ihres Mannes. Chaim fragte sich, ob sie das aus Repräsentationsgründen tat oder ob sie wirklich hatte kommen wollen. Er spürte eine erneute, stechende Emotion, ignorierte sie aber, da er selbst nicht genau wußte, was sie bedeutete.
    Er filmte das Ritual höflicher Verbeugungen, den Abschied, die anderen, die über die Docks zurückgingen. Dann folgte er Sabu Siamang in das wartende Schiff, filmend und gefilmt werdend.
    In dem dichtgepackten Alkoven entledigte sich Dartagnan seines Anzuges. Seine Bewegungen hatten die anmutige Grazie eines Mannes, der sein ganzes Leben auf Planetoiden verbracht hatte, wo es fast keine spürbare Schwerkraft gab. Er zog sich durch die Tür in den Kontrollraum und nahm den Anblick der Konsolen in sich auf: Siamang lehnte an einer und drückte achtlos Knöpfe in einer langen Reihe.
    „Diese hier nicht berühren …! Bitte, Demarchos Siamang.“ Die sanfte, fast mädchenhafte Stimme hatte einen zornigen Unterton, der aber augenblicklich wieder der Demut wich.
    Dartagnan schaute im Dämmerlicht an Siamang vorbei und sah den Piloten, das dritte und letzte Mitglied ihrer Expedition. Ein Kind, dachte er verblüfft: ein schlanker Junge in einem formlosen Sprunganzug, mit schwarzem, kurzen Haar, von durchschnittlicher Größe wie er selbst, vielleicht zwei Meter messend. Epikanthische Fältchen maskierten den Unmut im Blick des Jungen ein wenig.
    Durch ihren Tonfall verblüfft, wandte sich Siamang um, und ein Ausdruck, der nicht ganz Entschuldigung war, formte sich auf seinem Gesicht. „Oh, tut mir

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