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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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Augenblick still, berauscht von dieser gewaltigen Vorstellung.
    „Es kommt“, sagte irgend jemand. Sie unterbrach ihr Starren und sah den blendenden Schein des Sonnenlichtes, das von der glänzenden Oberfläche der sich langsam nähernden Fähre reflektiert wurde. Sie betrachtete das gemächliche Näherkommen des Flugkörpers und fühlte ein leichtes Zittern, als das tropfenförmige Beiboot von den gewaltigen Rundungen des Schiffes verschlungen wurde und im Landedeck aufsetzte.
    Ein leises Klingeln war zu hören; wie die anderen wandte sie sich um, als sich ein Schott in der gegenüberliegenden Wand öffnete, pulsierendes Grün. Sie wartete, als sie Andars Körper auf einen der Sitze im engen Inneren des Bootes setzten und ihn mit Gurten festschnallten. Dann, als sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, machte sie sich daran, ebenfalls einzusteigen.
    „Willst du ihn begleiten?“ fragte Sabowyn.
    Sie warf einen flüchtigen Blick in den kleinen Raum der Fähre und setzte sich dann in einen anderen Sessel, wo sie ihre eigenen Haltegurte befestigte. „Ja. Meine Mutter ist krank, ich muß nach ihr sehen.“
    „Oh! Gut, wenn du unten bist … du weißt schon … solltest du jemanden sehen, dann sag ihm, er soll sich um ihn kümmern, ja?“
    „Ich werde daran denken.“ Sie nickte.
    Sabowyn berührte eine in der Wand eingelassene Silberplatte, woraufhin sich die Luftschleuse schloß. Die Fähre wurde nun zu einer separaten Einheit, unabhängig vom Mutterschiff. Sie erhob sich sanft vom Boden des Landedecks und schwebte, wie ein Regentropfen, im freien Fall vom Schiff weg und begann den langen Sturz hinunter zur Oberfläche des Planeten. Tarawassie fühlte sich, im Weltall ihres Gewichtes beraubt, in das Geflecht der Sicherheitsgurte gepreßt, während sie das Raumschiff hinter sich zurückließ. Sie sah auf und lehnte ihren Kopf gegen die graue Polsterung des Sitzes, wobei sie das Kristallschiff beobachtete, das sich langsam in einen kleinen, facettenreichen, in geheimnisvolles Licht getränkten Edelstein verwandelte.
    Sie schloß die Augen, erschöpft von ihrem letzten Chittatraum, fühlte, wie die Existenz des Kristallschiffes zur Bedeutungslosigkeit herabsank, während die Welt unter ihr an Größe zunahm. Sie versuchte, sich auf ihre dortigen Pflichten zu konzentrieren, doch gleichzeitig war ihr Geist bemüht, die unbequeme Bürde der Realität und des Kummers abzustreifen. Ihre Mutter würde sterben, und es gab nichts, das sie für die alte Frau tun konnte. Nichts, außer, nach ihren Bedürfnissen zu sehen und zu versuchen, ihre Leiden zu mildern, da es sonst keinen Trost gab, den zu geben sie in der Lage gewesen wäre – und dann rasch fliehen, zurück ins Kristallschiff, zurück in die Traumwelt, wo sie allen Kummer vergessen konnte.
    Als sie die Augen öffnete, stürmte die majestätische Unermeßlichkeit des Randes der Welt, der in blauem Nebel versank und jetzt den ganzen Himmel vor ihr ausfüllte, urplötzlich auf sie ein. Eine unvermittelte Schwere, das natürliche Rückkehren ihres eigenen Körpergewichtes, drückte sie erneut gegen die Rückenlehne des Sitzes; allen Gegenmaßnahmen zum Hohn wurden hämmernde Vibrationen auf ihren Körper übertragen. Nur ein klein wenig wandte sie den Kopf zur Seite: Neben ihr starrte Andar, mit Augen, die nicht länger sahen, über die majestätische Pracht der Welt – und, diese durchdringend, auf alle Welten dahinter; noch immer spielte das geheimnisvolle Lächeln um seine Lippen.
    „Andar.“ Eine plötzliche Erkenntnis überfiel sie. Sie wandte sich ihm ganz zu und sah ihn an. „Oh …“ In aufkommender Verwirrung fuhr sie sich mit der Hand über das Gesicht, fühlte ihr Haar, den goldenen Reif, der verhinderte, daß es ihr ins Gesicht fiel, fühlte ihre Finger … und seine eigene, herabhängende Hand, kalt und bleich wie Marmor. Sie hatte ihn nicht besonders gut gekannt – sie kannte niemanden besonders gut, nicht mehr, als all die anderen sie selbst kannten. Und doch wußte sie um alle, die Handvoll Leute in der Stadt und im Kristallschiff, und sie liebte sie wie eine Familie, der sanften Träume wegen, die sie mit ihnen teilen durfte. Doch Andar hatte niemals den inneren Frieden gespürt, und oft waren seine Träume Bilder des Schreckens gewesen, im krassen Gegensatz zur berauschenden Schönheit der Träume der anderen.
    Andars abwesender Blick schien durch sie hindurchzusehen in den Himmel über ihnen. „Nun bist du glücklich.“ Es war keine Frage, da es

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