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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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An ihrer Seite kniete Sabowyn; mit ausdruckslosem Gesicht ließ er ihre Mutter am Rande der Einfassung nieder.
    Die alte Frau hob leicht erregt ihren Kopf. Tarawassie fand ihre Augen, sank nieder an die Seite ihrer Mutter und fing plötzlich an zu weinen, „Mama, ich möchte nicht, daß du gehst!“ Eine erschöpfte Hand streichelte ihr nachtschwarzes Haar.
    „Ich muß … Ich muß, Tarawassie. Wenn du mich wirklich liebst, dann mußt du mir helfen. Erzähle mir noch einmal, was Andar sagte …“
    „Er sagte, er wäre bereit. Er sagte: ‚Es gibt einen Himmel, das ist der Tod.’“
    „Ja“, flüsterte ihre Mutter. „Ja! Laß mich gehen, Tarawassie …“ Ihre Mutter erstarrte in ihren liebkosenden Armen, sie und das Leben zurücklassend. Langsam ließ Tarawassie von ihr ab und ließ sie in das sternenglänzende Traumwasser hinabgleiten.
    Ihre Mutter seufzte und schloß die Augen, als hätte man eine große Last von ihr genommen, lächelte. Undeutliches Blaugrün schwappte zwischen ihren Fingern. Sie lag ruhig.
    Tarawassie beugte sich nach vorn, ihre Hand umschloß ein letztes Mal die Hand ihrer Mutter, lautlos fielen ihre Tränen hinab in die Quelle. Dann kehrte sie zurück in die Welt der Farben und Geräusche, in den Traum, an dem sie teilnehmen konnte. Die anderen, die sie umgeben hatten, murmelten in stiller Verwunderung, liefen bereits wieder auseinander, als Tarawassie sich ihrer Anwesenheit bewußt wurde. Jemand nahm den Körper ihrer Mutter aus der Quelle und trug ihn davon. Tarawassie kauerte zurückgelehnt auf ihren Absätzen, kaum dessen bewußt, daß sie weinte … trauerte um den Hauch einer Berührung oder einen leichten Kuß der Begrüßung, die sie nun nie mehr würde genießen können.
    „Sie ist glücklich, ihr Wunsch wurde ihr erfüllt.“ Sabowyn stand an ihrer Seite, einen Arm um ihre Schulter gelegt. Von irgendwoher brachte er eine silberne Tasse, gefüllt mit Chitta, zum Vorschein, und reichte sie ihr. „Sei du auch glücklich – und dankbar für das Ende des Leidens.“
    Dankbar nahm Tarawassie die Tasse entgegen, trank den rubinroten Sirup, sich gänzlich auf das Gefühl kalten Feuers, das ihre Kehle hinabrann, konzentrierend. Sabowyn führte sie die Spiralrampe ins Traumzimmer hinab. Dort ließ sie sich in die einhüllende Viskosität einer Liege gleiten und durchschritt rasch die hauchdünne Membrane, die die Wirklichkeit von der Verzückung des Traumes trennt.
     
    Tarawassie erwachte. Tränen strömten über ihr Gesicht; sie wußte nicht zu sagen, ob es erst begonnen hatte oder ob sie schon seit Stunden weinte. Sie hob den Kopf. Raum, Sterne, die Regenbogensymphonie und verschiedene Figuren gewannen Gestalt, als sie Tränen und Verwirrung hinwegblinzelte … Hier gab es keine Schönheit! Ihr Geist verschloß sich unter dem Terror von Enttäuschung und Desillusionierung, von durch Schmutz besudelten Farben und gedankenlosen Geräuschen … keine Behaglichkeit, keine Visionen, nur Häßlichkeit. Niemals zuvor hatte sie solche Träume gehabt. Wie konnte sie das alles nur ertragen?
    Sabowyn lag ein wenig von ihr entfernt auf einer anderen Couch, mit leeren Augen um sich blickend. Über den kleinen Tisch hinweg tippte sie ihn an, schüttelte ihn ohne Erfolg, wie Andar sie selbst geschüttelt hatte. Andar … waren alle seine Träume so gewesen? Benommen erhob sie sich und folgte seiner Spur zum Rand der Sternenquelle, wo sie schwankend stehenblieb. Sie suchte nach seinem Gesicht, nach dem Gesicht ihrer Mutter, doch nur ihr eigenes fand sie, verzerrt im Nichts. Langsam schritt sie in die Quelle, den Atem angehalten, Kälte umspülte ihre Knöchel. Ein plötzlicher Schwindel erfaßte sie, sie erzitterte wie ein Rohr im Wind. Nichts geschah.
    Lange stand sie so und wartete, bis ihr zu Bewußtsein kam, daß nichts geschehen würde, registrierte mit wiedererwachendem klarem Geist, was es war, das zu tun sie im Begriff gewesen war. Furcht vor der straffen, unbeweglichen Oberfläche, die ihre Beine umklammert hielt, ergriff sie, Panik überkam sie bei dem Gedanken, in die Tiefe der Sternenquelle hinabzufallen, und rasch schritt sie zurück zum Rand.
    Sie ging zurück, die Spiralrampe hinab, wo sie Mirro allein antraf; sie spielte am Webstuhl. Tarawassie betrat den Raum, bahnte sich einen Weg durch das funkelnde Gespinst, dem Ergebnis von Mirros Weben. Je weiter sie sich dem Webstuhl näherte, desto mehr geriet sie unter den Einfluß seiner Stimulation – die Anordnungen von Licht und

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