Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
in Beutel von Mutter, bis groß und stark, nicht oft draußen. Im Beutel, Mutter zeigt Kleinem viele Dinge. Wenn Junges geboren, Vater zeigt, Kith-Geschwister zeigen. Männer haben auch Beutel.“ – Er deutete auf seinen Bauch, suchte in ihrem Gesicht nach Anzeichen des Verstehens. – „Kann Junges nicht austragen, aber kann zeigen , kann auch Geschwistern zeigen.“ Seine Hände bewegten sich unruhig, die Krallen gespreizt, als könne er das Verständnis aus der klaren Luft greifen. „Gib Hand in Beutel, was Bruder sieht, du siehst auch. Nicht erzählen – sehen, mit Augen des Bruders. Bruder zeigt …“ Als hoffe er, durch ständiges, lautes Wiederholen könne er ihr die Bedeutung seiner Worte klarmachen. Er breitete seine Arme aus und wartete.
Tarawassie lehnte sich zurück, um die Worte in ihrem Gehirn zu verarbeiten. „Ich verstehe – es ist mehr als ein reines Erzählen. Aber es ist so – so fremdartig. Wir selbst können nicht die Gedanken der anderen lesen, wenn wir uns berühren. Wie also sollte ich die deinen lesen können? Ich bin keine Eingeborene. Kannst du nicht einfach nur erzählen?“
„Kann nicht erzählen, Sternenfrau.“ Er lächelte verloren. „Nicht haben genug Worte, keinen Weg wissen.“ Seine Schultern hoben sich, eine Geste der Hilflosigkeit. „Reden zu schwierig. Aber kann dir zeigen. Ich Sternenmann, weil dies so sein.“ Er hielt ihr die Hand entgegen.
Halb kam sie ihm entgegen, doch dann wich sie erneut zurück, erschrocken, unsicher. „Nicht jetzt. Ich bin noch nicht bereit. Wirst du mich zu dem Platz führen, über den wir uns eben unterhielten? Dann werde ich … sehen.“
Seine Hand fiel herab, und er nickte mutlos. „Ich dich führen. Mein Versprechen halten.“ Eine flüchtige Betonung lag auf dem Wort ‚mein’. „Jedenfalls“ – seine Gestalt straffte sich – „ich gehe in Haus. Gehen nun, ja.“ Sein Schwanz griff nach der Leuchtkugel. Er hob sie auf und nahm sie in die Hände. Dann schob er mit den Füßen Staub ins Feuer, brachte es zum Erlöschen.
Tarawassie erhob sich stöhnend wie eine alte Frau, eine andere Art von Feuer durchströmte ihre Muskeln.
„Nicht weit.“ Er lächelte zuversichtlich – er wollte nicht, daß sie ihn erneut erschrecke, vermutete sie. Sein Schwanz wies in Richtung des hellen Eingangs. „Laufen du gut?“
Sie preßte ihre verletzte Hand gegen ihren Rücken. „Sehr gut, hoffe ich.“
„Hier. Gelbpelz hier drücken.“ Mondschatten preßte seine eigenen bepelzten Hände gegen zwei Elfenbeinplatten, die in Brusthöhe in die dunkle Tür eingelassen waren. Nichts geschah. „Rasch, Sternenfrau. Mein Volk wütend, wenn uns hier sehen.“
Tarawassie stapfte durch trockene Blätter unter das Vordach des Hauses. Sie sah einen kurzen Moment zu dem Portal hinauf, ängstlich wegen seiner enormen Größe. „Sind sie Riesen?“ flüsterte sie, vor Furcht und Kälte zitternd.
„Nein“, sagte Mondschatten abrupt, rieb sich die Arme, den grauen Pelz. „Sie sehen aus wie du – wie du. Wir gehen hinein jetzt?“ Er blickte die Straße hinab.
„Sie sind nicht wie wir.“ Sie blickte hinab. „Nein, nicht wie wir.“ Langsam, wie bei einem Ritual, hob sie beide Arme und legte die Hände gegen die beiden Siegel. Die schweren Torflügel schwangen mit einem leichten metallischen Geräusch nach innen. In der Nachmittagssonne warfen ihre Gestalten lange Schatten in das Innere der Halle. Tarawassie blieb stehen, schwankend und unentschlossen. Neben ihr kam Mondschatten überwältigt zum Stehen. Sie nahm ihm die Leuchtkugel aus den Händen und hielt sie wie ein Amulett vor ihren Körper. Im Brennpunkt der beiden Lichtquellen verblaßten ihre Schatten, wurden unsichtbar.
„Geistermenschen“, murmelte Mondschatten.
„Unsere Geister.“ Tarawassie hielt unbewußt den Atem an. „Vielleicht sind wir Riesen, nach allem …“
Gemeinsam durchquerten sie den Raum, und wie ein Willkommensgruß erstrahlte Licht um sie herum, verdrängte mit seinem strahlenden Glanz die Dunkelheit. Sie fröstelten, blickten sprachlos auf, ihre Augen glitten über die Wände des Gewölbes, in dem sie sich aufhielten. Irgendwo in den verborgenen Geheimnissen dieses Ortes hatte Andar jenes Wissen gefunden, das ihn seinen Verstand verlieren ließ und ihm die Freiheit gab. Und ihrer Mutter die Freiheit gab. Und nun mußte sie es selbst erfahren …
„Nicht gut.“ Mondschattens dünne Stimme hallte von Wand zu Wand und erzeugte ein verwirrendes Echo. „Nicht
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