Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
wieso verfolgte die gemeinnützige Bertelsmann Stiftung das gleiche Ziel? Der Schluss liegt nahe, dass dies gewollt war, denn wieso sollte ein Manager, der sich jahrzehntelang um den Ausbau eines Unternehmens gekümmert hat und dann in eine Stiftung wechselt, plötzlich seine Ansichten und Vorgehensweisen ändern?
Ein und derselbe Manager an der Spitze des Stiftungsvorstands und an der Spitze des Aufsichtsrats des Unternehmens soll zugleich im Interesse der Allgemeinheit und im Interesse des Unternehmens entscheiden. Mohn deutete diesen Konstruktionsfehler als Gemeinnützigkeit um. Indem die Stiftung die Interessen des Unternehmens verfolge, erwirtschafte das Unternehmen Geld, das die Stiftung dann gemeinnützig verwenden könne. Diese Doppelrolle und die Nähe zur Bertelsmann AG waren letztlich schuld daran, dass die Stiftung mit ihren Plänen für eine zentrale Medienaufsicht und einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht glaubwürdig genug für die Rolle eines neutralen Vermittlers und Moderators war. Ihre Reformansätze waren stets belastet. Gegner ihrer Vorschläge für eine zentrale Behörde aus den Bundesländern konnten allzu leicht auf die rundfunkpolitischen Interessen des Konzerns verweisen. Sie musste erkennen, dass sie aufgrund ihrer Nähe zum Konzern nicht geeignet war, Medienthemen aufzugreifen. Als Konsequenz verringerte sie ihr Engagement in diesem Themenfeld und gab es 2002 schließlich ganz auf. Der Konzern hatte mit dem Marktanteilsmodell ohnehin erhalten, was er jahrelang forderte
Dabei gab es in den neunziger Jahren tatsächlich gute Gründe, das damalige Modell der Konzentrationskontrolle zu reformieren, indem man einem Unternehmen die hundertprozentige Beteiligung an einem Sender erlaubt. Ebenso gab es gute Gründe, eine zentrale Medienaufsicht zu etablieren, um Standortpolitik zu vermeiden. Die Bertelsmann Stiftung versuchte eine solche Reform anzustoßen. Sie gestaltete den politischen Diskurs, wie Hachmeister heute sagt. Und sie hat durch ihre langjährigen Reformdebatten sicherlich ihren Anteil daran gehabt, dass die Politik sich letztlich auf das von Bertelsmann favorisierte Marktanteilsmodell einigte. Fairerweise muss man sagen, dass dieses Modell auch ihrem Konkurrenten Kirch zugute kam.
5. Hartz IV: Rezepte aus dem Hause Bertelsmann – Die Stiftung als Wegbereiter einer Arbeitsmarktreform
Im Februar 2002 wurde die Bundesanstalt für Arbeit von einem großen Skandal erschüttert. Die Hauptverwaltung der Behörde in Nürnberg stand an der Spitze von zehn Landesarbeitsämtern und 181 Arbeitsämtern. Die gesamte Behörde war mit mehr als 90 000 Mitarbeitern die größte Behörde Deutschlands und blickte 2002 auf eine fünfzig Jahre lange Geschichte zurück. Der Bundesrechnungshof löste den Skandal aus, nachdem er in fünf Arbeitsämtern die Vermittlungserfolge vom Oktober 2001 geprüft hatte. Er hatte die Arbeitsämter in Dortmund, Bremerhaven, Halle, Frankfurt an der Oder und Neuwied untersucht, um ein realistisches Bild zu erhalten. Sie wurden nach Größe und Ost/West-Verteilung ausgewählt und die Ergebnisse wichen nicht wesentlich voneinander ab. Die Prüfer untersuchten mehr als 5 000 Vermittlungen mit niederschmetterndem Ergebnis. Mehr als 600 Fälle blieben unklar, weil Daten gelöscht worden waren. Von den übrigen 4 400 Vermittlungen waren 3 008 fehlerhaft gebucht worden.
Der Rechnungshof kam zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsämter deutlich weniger Arbeitslosen halfen, als sie angaben. Die Bundesanstalt hatte behauptet, dass sie im Jahr 2000 etwa 3,9 Millionen Arbeitsplätze vermittelt hätte. 50 Prozent der ehemaligen Arbeitslosen hätte sie damit eine Stelle vermittelt. Der Rechnungshof dagegen schrieb, dass nur 20 Prozent durch die Hilfe der Behörde vermittelt worden waren und 70 Prozent der geprüften Stellenvermittlungen falsch gewesen seien. Bei jährlich 3,87 Millionen Vermittlungen wären das hochgerechnet rund 2,7 Millionen Falschbuchungen. So hätten die im Oktober 2001 untersuchten Ämter viele Fälle als vermittelt gemeldet, ohne dass Bewerber einen Job gefunden hatten oder ohne dass die Behörden wussten, ob jemand eingestellt worden war.
Der Rechnungshof zweifelte folglich am Nutzen der 20 Milliarden Euro teuren Arbeitsmarktpolitik der Bundesanstalt. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt forderte »eine Reform an Haupt und Gliedern« und auch die Gewerkschaften forderten Reformen. Kritisiert wurde vor allem, dass nur 10 Prozent der 93 000
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