Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
Mestmäcker, Reinhard Mohn, Mark Wössner, Manfred Lahnstein und Johannes Gross (ehemals Gruner + Jahr). Die Mehrheit der Experten ist also Bertelsmann eng verbunden und wurde vom Unternehmen bezahlt.
»Eine absurde Konstellation«, wie Anschlag fand: »Vier Führungspersonen des Bertelsmann-Konzerns und ein der CDU angehöriger Bertelsmann-Hauspolitiker beraten die Bertelsmann Stiftung für ein Grundsatzpapier zur ›Kommunikationsordnung 2000‹, die verkauft wird, als sei sie ein neues gesellschaftliches Allgemeingut und in dieser Funktion mindestens gleichrangig mit rundfunkspezifischen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Der zweitgrößte Medienkonzern der Welt versucht, die kritische Reflexion über sein eigenes unternehmerisches Handeln selbst zu beherrschen. Dass dies nicht als Widerspruch in sich betrachtet wird, sondern bei Bertelsmann und den Beteiligten offensichtlich als die natürlichste Sache der Welt gilt, müsste selbst dem Konzern als bedenklich auffallen.« 3 Aus diesem Papier sei abzuleiten, schrieb Anschlag, dass staatsvertraglich und föderal verfasste Kontrolle zunehmend durch das Prinzip unternehmerischer Eigenverantwortung ersetzt werden solle. Man sehe am Einfluss von Bertelsmann auf seinen wirtschaftlich so erfolgreichen Vorzeigesender RTL, wie gut diese Art vorgeblicher Selbstkontrolle in der Praxis funktioniere: nämlich gar nicht. In der Bertelsmann Stiftung war man nicht glücklich über diese kritische Bewertung eines Fachmanns.
Anschlag sagt heute: »Ich war naiv damals.« Er habe geglaubt, dass es der Stiftung wirklich ernst sei mit kritischem, aufklärendem Medienjournalismus. Nach der Veröffentlichung seiner kritischen Worte meldete sich der zuständige Projektleiter seines Seminars bei ihm. Anschlag dachte, er wolle über das zweite Seminar reden, das die Stiftung bereits ankündigt hatte. Aber der Projektleiter teilte ihm mit, dass das Seminar zwar wie geplant stattfinden solle, allerdings ohne die Mitwirkung von Anschlag. Er habe das nicht nachgetragen, sagt Anschlag heute, weil die Reaktion der Stiftung ja ein weiteres Seminar über kritischen Medienjournalismus obsolet gemacht habe.
Ingrid Hamm, die damals den Bereich Medien verantwortete, sagte zur Begründung der Trennung von Anschlag intern sinngemäß, der Journalist habe mit seiner Kritik an der Kommunikationsordnung gezeigt, dass er die Ziele der Stiftung nicht teile. So jemanden könne man nicht ein Seminar über Medienjournalismus halten lassen – also die Beurteilung und Bewertung all dessen, was ihre Abteilung auf die Beine stellte. Was für Ziele? Anschlag liegt an unabhängigem Medienjournalismus. Es gibt unter Journalisten einen Spruch, mit dem sie an den ehemaligen Tagesthemen-Moderator Hanns-Joachim Friedrichs erinnern. Friedrichs soll gesagt haben: Ein Journalist soll sich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten. Hamm dagegen hatte eine Auffassung von Journalismus, wie man sie auch in den Kirchen zuweilen antreffen kann. Kritik an der Kirche, finden manche Priester, sei unangebracht und Zeichen des Unglaubens.
Hamms Verhalten offenbarte, dass sie nicht zu Ende gedacht hat, was unabhängiger Journalismus bedeutet. Dabei ist gerade im Medienjournalismus Unabhängigkeit besonders wichtig, weil sie schwer zu bewahren ist. Die Ironie der Trennung von Dieter Anschlag als Leiter des Seminars liegt darin, dass er der Stiftung einen Mangel an Unabhängigkeit bei der Debatte um die Kommunikationsordnung vorwarf und die Stiftung mit Anschlags Rauswurf genau diesen Mangel der Unabhängigkeit zur Schau stellte. Mit anderen Worten: den Vorwurf, den Anschlag ihr machte, belegte die Stiftung im Umgang mit ihm.
Vom Adler zum Suppenhuhn
Kehren wir zurück zum Anfang des Kapitels in den Sommer 1999 in Gütersloh, in dem Mark Wössner zum Auftakt der Medienkonferenz seine Grußworte sprach. Bevor er sein Glas erhob, sagte er, bei den Angriffen »gegen uns« habe er »den Aufschrei« der privaten Fernsehanbieter vermisst.
Beim Empfang steckten einige Gäste die Köpfe zusammen und rätselten, wen Wössner mit »uns« gemeint haben mag. Die Stiftung war jedenfalls von niemandem direkt angegriffen worden, wohl aber die Manager einiger Bertelsmann-Firmen. Es stellte sich also die Frage, welcher Wössner sich angegriffen gefühlt hat: der Aufsichtsratsvorsitzende eines der weltweit größten privaten Medienunternehmen oder der Vorstandsvorsitzende der auf Unabhängigkeit bedachten Stiftung? Es
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