Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
dauerte eine Woche. Die Kommissionsmitglieder trafen dort Wissenschaftler und Praktiker aus der Arbeitsvermittlung. Sie bekamen vorgeführt, was die Stiftung in ihrem am Kapitelanfang beschriebenen Video zusammengefasst hatte. Die Eindrücke wurden in zwei Workshops – wieder organisiert von der Bertelsmann Stiftung – vertieft. Durch Exposés, den Bericht Benchmarking Deutschland , die Reisen und deren Nachbereitung lieferte die Stiftung der Kommission damit wesentlichen Input. Sie bestimmte, worüber alle redeten und woran sie sich orientierten. Als Folge der Reisen fanden der verstärkte Einsatz von Zeitarbeitunternehmen, größere Kundenorientierung in den Arbeitsämtern, härtere Zumutbarkeitsregeln und das Prinzip des Förderns und Forderns Aufnahme in die Hartz-Vorschläge. Besonders zeigte sich dieser Einfluss bei den Jobcentern und Personalserviceagenturen – dem Herzstück von Hartz IV.
Die Stiftung bat auch wirklich unabhängige Experten um eine Einschätzung, aber ihre Kritik war in dieser Phase nicht wirklich erwünscht. So wendete sich die Stiftung auch an Helga Spindler, als Expertin für Sozial-und Arbeitsrecht. Spindler verfolgte die Diskussionen um die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe seit vielen Jahren. Auch die Maßnahmen von VW-Personalchef Peter Hartz bei Volkswagen in Wolfsburg waren ihr vertraut und sie weckten bei ihr wenig Begeisterung. In ihren Augen waren sie auf fragwürdige Weise durch die einflussreiche Marktstellung des Unternehmens durchgesetzt worden und nicht auf mittelständische Betriebe übertragbar. Spindler war als Kritikerin von neoliberaler Politik in Fachkreisen bekannt und in den Augen der Stiftung offenbar renommiert genug, dass man sie nicht übergehen wollte. Oder wollte man im Voraus sehen, wie Kritiker reagieren würden, um sich auf diese Kritik vorbereiten zu können?
Am 18. Juli 2002 schickten die Arbeitsmarktexperten der Stiftung, Frank Frick und Helga Hackenberg, an Spindler ein Positionspapier mit den Eckpunkten einer Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Im Anschreiben mit dem Betreff »Arbeitslosen- und Sozialhilfe verschmelzen« fassten sie ihr Papier mit folgenden Worten zusammen: »Die Bertelsmann Stiftung plädiert darin für eine rasche Zusammenführung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einem neuen einheitlichen und steuerfinanzierten Integrationssystem. Nur so können Hilfestellungen zur Wiedereingliederung in Erwerbsarbeit mit gleichen Chancen für alle Langzeitarbeitslosen gewährleistet und optimiert werden. Dieses einheitliche Integrationssystem ist unbedingt notwendig, um Ungerechtigkeiten zu beseitigen und mit dem bisherigen ›Verschiebebahnhof‹ zwischen Arbeitsverwaltung und Kommunen Schluss zu machen.«
Die Arbeitsrechtlerin Spindler antwortete Frau Hackenberg und schickte ihr »ein paar Gegenargumente, die für die berechtigten Bürger schon eine Rolle spielen dürften«. Sie könne »eine Ungerechtigkeit im bisherigen System wirklich nicht erkennen, wohl aber, dass die sozialen Rechte von Bürgern immer weniger berücksichtigt werden und sich ihre materielle Lage immer mehr verschlechtert. Aber ich habe den Eindruck, dass das bei Ihren Überlegungen eine mehr nachgeordnete Rolle spielt.« Die Stiftung antwortete ihr nicht. Die heiße Phase lief. Man war damit beschäftigt, die Mitglieder der Kommission zu beeinflussen.
Wenn Günther Schmid heute nach dem Einfluss der Stiftung auf die Reformen im Arbeitsmarkt gefragt wird, verweist er auf ein Schaubild und einen Werkstattbericht mit dem Titel Management of Change in der Politik? ,in dem er sich 2003 konkret mit den Reformen und seinen Erfahrungen als Berater des Kanzleramts beschäftigt hat. Schmid schrieb darin vom Gestalten durch wissenschaftliche Beratung im Bündnis für Arbeit und in der Hartz-Kommission. Grundlage war eine Tagung in Berlin im März 2003 wenige Tage vor Gerhard Schröders Regierungserklärung zur Agenda 2010. Schmids Beitrag handelt von den Mängeln der wissenschaftlichen Politikberatung und davon, wie »in Deutschland das herrschende Oligopol der Politikberatung durch einige Forschungsinstitute und große Stiftungen gebrochen werden kann«. Die Bertelsmann Stiftung nennt er darin nicht beim Namen, obwohl klar ist, dass er nur sie meinen kann. Schmid bestätigt das im Gespräch.
Im Mittelpunkt des Schaubilds, das Günther Schmid über die Akteure der Hartz-Kommission angefertigt hat, steht Peter Hartz. Von ihm gehen viele Linien zu
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