Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
sich über den Verkaufserlös ebenso zu früh gefreut wie die Stadt Gütersloh, die aufgrund des AOL-Deals 2001 Steuereinnahmen in Höhe von 6,5 Millionen Euro eingeplant hatte. Doch davon erhielt sie keinen einzigen Euro. Im Gegenteil. Bertelsmann forderte 15 Millionen Euro an zu viel im Voraus gezahlten Gewerbesteuern zurück.
Zwei Mitarbeiter von Bertelsmann, die für Bertelsmann und AOL Deutschland tätig gewesen sind, behaupteten, sie hätten Anteil an Bertelsmanns Erlös aus AOL, und klagten in den USA auf Gewinnbeteiligung. Sie erhielten insgesamt 209 Millionen Euro zugesprochen und einigten sich 2004 mit Bertelsmann auf 160 Millionen Euro. Das ist mehr, als die Stiftung erhielt, die damals immerhin fast 60 Prozent des Unternehmens besaß. Hätte die Stiftung auch klagen sollen, um zu ihrem Recht und zu ihrem Geld zu kommen? Das ist natürlich eine hypothetische Frage, denn der Stiftung fehlt zu einer solchen Klage die Unabgängigkeit vom Unternehmen und den Mohns: Sie müsste gegen sich selbst klagen. Das bedeutet aber auch, dass die Stiftung ihr Recht und ihre Ansprüche gegen die AG und die Familie Mohn nicht wahrnehmen kann.
Bertelsmann betont gerne, dass die Stiftung ein genügsamer Aktionär sei und man deshalb Gott sei Dank nicht dem Druck der Börse ausgesetzt sei – als würden fremde Aktionäre das Unternehmen ausbeuten. In Wahrheit ließ sich der Fremdaktionär Albert Frère nicht nur 120 Millionen Euro Jahresdividende garantieren, sondern sorgte durch umfangreiche Vertragsregelungen dafür, dass auch die Stiftung mehr Dividende vom Gewinn ausbezahlt erhielt, wie der damalige Finanzchef Luther bestätigt. Frère drängte dabei auch auf Nachzahlungen an die Stiftung. Die Mehreinnahmen wanderten in die Rücklage der Stiftung. Das heißt: Die Fremdbeteiligung zahlte sich für die Stiftung aus, weil Frère nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Stiftung eine kräftige Dividende forderte. 2005 erhielt die Stiftung aufgrund dieser Nachzahlungen immerhin 125 Millionen Euro.
Der »wahre« Wert des Vermögens
Damit dieser Widerspruch zwischen Unternehmensertrag und Ausschüttung an die Stiftung nicht so sehr auffällt, setzen die Mohns den Vermögenswert ihrer Stiftung viel zu niedrig an. Ein einziges Mal hat die Stiftung dagegen protestiert. Sie tat es still und leise und unter Experten in Form einer Studie – ganz so wie es eben ihre Art ist. Ihr Titel: Vermögen von Stiftungen – Bewertung in Deutschland und den USA . Erschienen ist sie 2002. 2
Der Wirtschaftsprüfer Joachim Doppstadt bemängelte darin, die Bilanz der Bertelsmann Stiftung enthalte »keine Aussage darüber, wie sich der Wert darstellt«. Erst ein Vergleich mit der Bilanz der AG lasse Rückschlüsse zu. Doppstadt legte so den Widerspruch offen: Die AG besaß im Jahr 2000 ein Eigenkapital in Höhe von 5 926 Millionen Mark (inklusive 1 344 Millionen Mark Genusskapital). Der Jahresüberschuss der AG betrug 1998/99 und 1999/2000 immerhin 583 und 700 Millionen Mark. Im gleichen Zeitraum besaß die Stiftung 71,2 Prozent der Kapitalanteile am Unternehmen; ihr Vermögen gab sie mit 1218 Millionen Mark an. Doppstadt liest aus diesen Zahlen »deutlich ab, dass der Beteiligungsansatz bei der Bertelsmann Stiftung, wie auch immer er ermittelt wurde, lediglich einen Bruchteil des Verkehrswertes der Beteiligung an der Bertelsmann AG ausmacht« 3 . Mit anderen Worten: Die Mohns rechnen den Vermögenswert ihrer Stiftung klein. Das führt dazu, dass die Ausschüttung in der Bilanz der Stiftung nicht ganz so gering erscheint, wie sie eigentlich ist.
Die Abteilung Stiftungswesen der Bertelsmann Stiftung hatte die besagte Studie über den wahren Wert von Stiftungen in Auftrag gegeben und damit die Aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt, dessen man sich innerhalb der Stiftungswelt sehr bewusst ist, welches außerhalb dagegen kaum bekannt ist: Es ist ein Problem, das auch die Bertelsmann Stiftung selbst in besonderer Weise betrifft.
Einer der drei Autoren, der bereits erwähnte Joachim Doppstadt, sagt: »Die Berechnung war eine Katastrophe.« Er habe die Hochglanzprospekte der Stiftungen durchgesehen und sei aus den darin veröffentlichen Bilanzen nicht schlau geworden – und das, obwohl er Stiftungs- und Steuerexperte ist, mehr als hundert Stiftungen betreut und rund tausend Rechnungslegungen von Stiftungen gesehen hat. Unter Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern von Stiftungen gilt der saloppe Satz: Jeder Betreiber einer Würstelbude muss
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