Bertelsmannrepublik Deutschland: Eine Stiftung macht Politik (German Edition)
Stiftung nichts mit ihrem tatsächlichen Wert zu tun hat (während Bosch und Volkswagen Stiftung vermutlich ihrem Vermögenswert nahe beziehungsweise näher kommen).
Wie lässt sich diese unterschiedliche Bewertung erklären? Die Stiftung selbst kommentiert diese Zahl nicht. Es ist ein Wert, der bei der Übertragung der Kapitalrechte 1993 von Reinhard Mohn willkürlich festgelegt und seitdem stets übernommen wurde. Jedenfalls gibt die Stiftung in ihrer Satzung von 1994 die Übertragung als Zustiftung in Höhe von 1,2 Milliarden Mark (also rund 600 Millionen Euro) an. Das ist der Buchwert, der seit der Aktienübertragung 1993 gleich geblieben ist, obwohl der Wert des Unternehmens seitdem kräftig gestiegen ist. Der Wert wurde damals mit 1,2 Milliarden Mark verbucht, obwohl das Unternehmen den wahren Wert der Aktien, die Reinhard Mohn der Stiftung schenkte, auf rund zehn Milliarden Mark schätzte, wie der damalige Vorstandsvorsitzende Mark Wössner bestätigte.
Dem belgischen Investor Albert Frère garantierten die Mohns fünf Jahre lang für dessen 25-prozentigen Anteil eine jährliche Dividende in Höhe von 120 Millionen Euro. Die Stiftung erhält für ihren 77-prozentigen Anteil jedoch nur zwischen 60 und 80 Millionen Euro. Wie ist es zu erklären, dass 25 Prozent eine fast doppelt so hohe Dividende ergeben? Dabei müsste die Stiftung – wenn man die Garantie für Frère auf den dreifachen Anteil hochrechnet – statt 60 bis 80 eigentlich 360 Millionen Euro erhalten.
Das Unternehmen spart sich also in ertragsstarken Jahren noch einmal rund 280 bis 300 Millionen Euro, die eigentlich gemeinnützigen Zwecken zufließen könnten. Die Mohns gaben diese Summe jedoch nicht der Allgemeinheit, sondern entschieden, das Geld in ihr Unternehmen zu investieren. In vier Jahren macht das eine Milliarde Euro, die nicht der Allgemeinheit, sondern dem Unternehmen zugutekommen. Das bedeutet aber auch: Nicht Mohn finanziert der Allgemeinheit eine Reformwerkstatt. Vielmehr finanziert die Allgemeinheit den Mohns ein Institut, mit dem diese Gesetze nach ihren Wünschen und Interessen beeinflussen können. So gesehen, stellt die Bertelsmann Stiftung eine Pervertierung des eigentlichen Stiftergedankens dar. Vermutlich ist Bertelsmann gar kein herausragender Einzelfall, sondern dergleichen ist unter unternehmensverbundenen Stiftungen üblich, und legal. Das macht ihn moralisch nicht weniger fragwürdig.
Das Problem des unbekannten Vermögenswertes betrifft nicht nur die Bertelsmann Stiftung, sondern zahlreiche Unternehmensstiftungen. Der Bundesverband Deutscher Stiftungen, der als Dachverband die Interessen der 17400 rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts vertritt, kann zwar sagen, dass er damit rund 80 Prozent des deutschen Stiftungsvermögens repräsentiert. Auch weiß er, dass etwa 95 Prozent aller Stiftungen in Deutschland gemeinnützig und somit steuerbefreit sind. Aber wie groß das Vermögen ist, das weiß er nicht. Er schätzt das Gesamtvermögen auf rund 100 Milliarden Euro. Aber da diese Zahl auf freiwilligen Angaben der Stiftungen beruht, ist sie garantiert falsch und zu niedrig angesetzt.
Dass die Bertelsmann Stiftung nicht als Negativbeispiel für eine Stiftung auffällt, die fortwährend demokratische Mechanismen unterläuft, liegt nur daran, dass sie tatsächlich viele mehr oder weniger gemeinnützige Projekte verfolgt, mehr als 300 Mitarbeiter beschäftigt und sich zu allen möglichen gesellschaftlichen Fragen mit ihren Lösungsvorschlägen zu Wort meldet. Die Bertelsmann Stiftung und andere unternehmensverbundene Stiftungen argumentieren, die geringe Dividende sei gerechtfertigt, weil sie sich nicht Geld am Kapitalmarkt (also der Börse) holen können. Das stimmt, und tatsächlich erlaubt das Aktienrecht, bis zu 50 Prozent des Gewinns für Investitionen zurückzuhalten. Aber niemand zwingt einen Unternehmer, eine Stiftungskonstruktion zu wählen und sein Unternehmen auf diese Art abzuschotten. Das Argument, ein gesundes, mit einer starken Kapitaldecke ausgestattetes Unternehmen erhalte Arbeitsplätze und sichere so das Wohl der Allgemeinheit, ist im Falle von Bertelsmann kein Grund, Gewinne vorzuenthalten.
Reinhard Mohn und seine Nachfolger an der Spitze des Unternehmens versichern ein ums andere Mal, dass ihr Unternehmen vollständig dezentral geführt sei und jeder Bereich für sich funktioniere. Das bedeutet: Man kann jede Tochterfirma verkaufen, ohne dass man Angst haben muss, sie würde ohne Bertelsmann
Weitere Kostenlose Bücher