Beruehmt und beruechtigt
Brandon warf Easy, der sich mit seinem nach Pferdestall stinkenden Körper auf das kratzige, kariert bezogene Sofa gefläzt hatte, einen finsteren Blick zu.
»Mach dir mal nicht zu viele Hoffnungen, Kleiner«, sagte Ryan und rutschte auf dem Sofa ein Stück, damit Julian sich setzen konnte. »Mit Neuntklässlern redet Tinsley überhaupt nicht.«
»Jetzt, wo sie wieder da ist, hab ich das Gefühl, dass dieses Schuljahr auf einmal viel interessanter geworden ist«, näselte Easy, ohne von dem Skizzenblock auf seinem Schoß aufzusehen. Brandon musste an sich halten, um nicht die Augen zu verdrehen. Gab es eigentlich ein Mädchen auf dem Campus, hinter dem Easy nicht her war? Erst Callie, dann Jenny und jetzt Tinsley? Es gingen Gerüchte um, dass er und Tinsley mal in der neunten Klasse was miteinander gehabt hatten, damals in den Frühjahrsferien, im Haus von Tinsleys Eltern in Alaska. Aber Easy hatte die Geschichte nie bestätigt. Es war Brandon sowieso egal.
»Teufel noch mal!« Alle drehten sich um und sahen Heath Ferro mit seinem fiesen Grinsen auf dem hübschen Gesicht unter der Tür stehen. »Ich hab gerade mit meinem Cousin gesprochen, der hier vor fünf Jahren seinen Abschluss gemacht hat. Er hat mir was absolut Abgefahrenes erzählt. Er behauptet, wenn man auf die andere Seite des Kraters geht, wird es ganz sumpfig und dreckig, und ratet mal, was da wächst?« Heath sah jeden erwartungsvoll an, als ob das, was er da faselte, irgendwie sinnvoll klang.
»Pilze, ihr Idioten!«, schrie er. »Ich dachte, wir ziehen mal rüber in den Wald und geben uns einen ganz natürlichen Rausch, so auf die Alice-im-Wunderland-Art. Ist doch’ne lange Woche gewesen«, fügte er hinzu, obwohl erst Dienstag war. »Wer macht mit?« Heath schnippte ungeduldig mit den Fingern.
Ryan und Alan stießen ihm sofort die Fäuste an die Hand. »Logisch.«
Brandon stöhnte und fuhr sich mit den Händen durch die frisch gewaschenen und gegelten Haare. »Mann, es ist doch erst Dienstag. Ich muss bis morgen noch fünf Kapitel von Tess von den d’Urbervilles lesen.«
»Oh, armer Brandon!«, höhnte Heath mit hoher Mädchenstimme, die er immer anschlug, wenn er sich über die weibischen Seiten seines Mitbewohners lustig machte. »Wirklich, fünf Kapitel?«
»Verpiss dich, Ferro. Nicht jeder Vater kann seinem Sohn gute Noten kaufen.«
»Wenn Neuntklässler nicht ausgeschlossen sind, würde ich gerne mitkommen«, dröhnte Julians tiefer Bariton, und er erhob sich. Wie ungerecht, dass ein Neuntklässler schon so verdammt groß und männlich aussah. Als Brandon in der Neunten war, hatte er knapp einsfünfundsechzig erreicht, und seine Stimme klang noch wie die eines Mädchens.
Easy ließ seinen Skizzenblock auf den Boden gleiten und faltete die Beine auseinander. »Warum nicht?«
Brandon seufzte unhörbar. Obwohl er so wenig Zeit wie möglich in der Nähe des widerlichen Walsh verbringen wollte, kam es nicht infrage, sich von Easy und irgendeinem Neuling aus der Neunten als Weichei hinstellen zu lassen. »In Ordnung. Hauen wir ab«, lenkte er ein. Dann musste er Thomas Hardys Roman eben einfach überfliegen.
Während die Gruppe den Campus überquerte und auf das Wäldchen zwischen den Backsteingebäuden und dem Fluss zusteuerte, spielten Easy und Alan Frisbee und erinnerten Brandon an zwei tapsige Golden-Retriever-Welpen. Geschniegelte Jungen und Mädchen mit Rucksäcken und Zopfmuster-Pullovern liefen eilfertig in die Bibliothek, um vor der Sperrstunde noch ein bisschen zu büffeln. Brandon wünschte sich, einfach mit Callie auf den Stufen der Bibliothek zu sitzen wie früher, zu flirten und zu knutschen, wenn keiner hersah. Stattdessen ging er auf Pilzjagd mit ein paar Idioten, von denen ihm der größte Idiot das Mädchen ausgespannt hatte, das er liebte, und womöglich gerade dabei war, ihr das Herz zu brechen.
Brandon tippelte in seinen kalbsledernen Gucci-Slippern den Waldweg entlang, bis Heath und Easy den gepflasterten Pfad verließen und ins Unterholz abbogen. Auf dem Weg durch hohe Stauden und tief hängende Äste achtete Brandon darauf, sich die Schuhe nicht zu ruinieren. Der Wald öffnete sich zu einer kleinen Lichtung, in der große Findlinge verstreut lagen, eine Stelle, an der die Schüler schon seit Ewigkeiten heimlich Partys feierten – genannt der Krater. Der Himmel über ihnen wurde dunkel, aber es war noch nicht kalt.
»Mein Cousin meinte, wir sollten uns an dem dicksten Felsen am Rand der Lichtung orientieren und
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