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Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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»bloßen Bestehen«, dem einfachen Dahinleben will sich Hannah nicht zufrieden geben. Sie will mehr gewinnen. Aber welchen Weg soll sie dazu einschlagen? Für sie selbst ist die Antwort klar. Sie muss weiter diesem Drang zum »Verstehenmüssen« 9 nachgeben, das ist für sie wie eine Frage von Leben und Tod. Und diesen Drang glaubt sie am ehesten in der Philosophie befriedigen zu können.
    Für Philosophie ist die Zeit denkbar ungünstig. In vielen Ländern Europas herrscht die nackte Not, man erholt sich erst langsam von den Zerstörungen des Krieges. Auf Deutschland lastet nach dem verlorenen Krieg der Friedensvertrag von Versailles: Gebiete im Osten, Westen und Norden mussten abgetreten werden; das Land ist fast völlig entwaffnet und gigantische Zahlungsverpflichtungen an die Kriegsgegner sind zu leisten. Viele Deutsche fühlen sich gedemütigt von rachsüchtigen Feinden, denen man sich nur durch Verrat unterlegen glaubt. Besonders Veteranen aus dem Ersten Weltkrieg wollen sich mit der neuen Republik, der sogenannten Weimarer Republik, nicht abfinden. Unter ihnen ist auch Adolf Hitler, ein Österreicher, der als Gefreiter in der deutschen Armee gedient hat. Er setzt sich an die Spitze einer Gruppe, die sich »Deutsche Nationalsozialistische Partei« nennt. Am 8. November 1923 wagt er mit seinen Getreuen sogar einen Putschversuch in München. Die Aktion schlägt fehl. Hitler wird zu fünf Jahren Festungshaft in Landsberg verurteilt, wo er seine Bekenntnisse unter dem Titel Mein Kampf niederschreibt. Schon Weihnachten 1924 wird er wieder entlassen werden.
    Seit 1919 herrscht in Deutschland eine Inflation, die ab 1922 außer Kontrolle gerät. Am Ende des Krieges war eine deutsche Mark noch 10 Dollar wert, 1922 kostet ein Dollar schon 20.000 Mark. Alle deutschen Geldvermögen sind so gut wie verloren. Seit 1923 reicht die Notenpresse nicht mehr aus, um das benötigte Papiergeld zu drucken, man muss ganze Güterzüge einsetzen, um die neuen Banknoten zu verteilen. In Königsberg wird ein Geldschein im Wert von hundert Milliarden Mark in Umlauf gebracht Die Königsberger Wirtschaft wurde durch das Kriegsende besonders hart getroffen, nicht nur durch die Inflation. Die neuen Grenzen haben die alten Handelswege zerschnitten und man muss erst wieder mühsam neue Verbindungen aufbauen. Vielen Firmen gelingt das nicht und sie müssen Konkurs anmelden.
    Auch der Eisenwarenfirma, in der Martin Beerwald Teilhaber ist, geht es zunehmend schlechter. Eva und Clara müssen arbeiten, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Eva ist Zahntechnikerin, Clara Pharmazeutin. Nur Hannah will ein Studium aufnehmen, das »kein Brotstudium« ist, sondern »eher das Studium entschlossener Hungerleider«. 10
    Von ihrem Freund Ernst Grumach, der in Marburg studiert, hat Hannah von einem jungen Dozenten der Philosophie gehört. Er hat noch kein bedeutendes Werk verfasst, aber er soll in seinen Vorträgen eine Faszination ausüben, die alle Hörer mitreißt. Diesem Dozenten gehe es nicht um spröde Gelehrsamkeit, im Gegenteil, ihm gelinge es, jene Inhalte wirklich zum Leuchten zu bringen, über die andere Professoren nur unverbindlich reden. Der Name dieses Privatdozenten ist Martin Heidegger.
    Was Hannah über diesen Heidegger hört, spricht ihr aus der Seele. Und ihr Entschluss steht fest Sie will nach Marburg, um bei ihm zu studieren.

IX. Ein Zimmer in der 9S. Straße
»Freiheit ist keine Prämie für ausgestandene Leiden.«
    In Europa waren die Emigranten auf ihrer Flucht vor den Nazis von einem Ort zum anderen getrieben worden. Man sprang, wie Hans Sahl es ausdrückt, »von Eisscholle zu Eisscholle«. Die Flucht nach Amerika war dagegen ein Schritt ins Ungewisse. Man sprang, so Sahl, »ins Wasser« 1
    Was sie jenseits des Atlantiks erwartet, davon haben die Flüchtlinge aus Europa nur sehr vage, oft abenteuerliche Vorstellungen. Viele kennen Amerika nur aus dem Kino. New York ist zum Beispiel für Sahl eine stehen gebliebene Filmkulisse, mit Wohnpalästen, »aus denen jeden Augenblick ein Clark Gable, eine Katharine Hepburn, ein Spencer Tracy heraustreten könnte«.
    Die meisten der deutschen Emigranten erwarten nicht, eine neue Heimat zu finden. Amerika ist für sie ein letzter Zufluchtsort, ein zwangsläufiger und vorübergehender Aufenthalt, von dem man wieder nach Europa zurückkehren wird, wenn der Nazi-Spuk vorüber ist.
    Aber noch deutet nichts auf ein baldiges Ende des »Tausendjährigen Reiches« hin, das mit der

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