Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Untergrundbewegung »Irgun«, die Anschläge auf britische Einrichtungen und Personen verübt. Hannah Arendt verurteilt diese Terroristen unter ihrem Anführer Menahim Begin als »Sprengstoff-Spießer«, weil sie einem völlig rückständigen Freund-Feind-Bild anhängen und verantwortungslos handeln würden. Sie warnt vor der jüdischen Neigung, den Antisemitismus als ein »natürliches Phänomen« zu betrachten und in den gefährlichen Irrglauben zu verfallen, dass die Juden als auserwähltes Volk von einer feindlichen Welt umzingelt seien. Ebenso warnt sie vor der zionistischen Hoffnung, ein eigener Judenstaat sei der einzige Ort, wohin man vor dem Antisemitismus fliehen könne. Immer wieder erinnert sie in ihren Artikeln daran, dass Palästina nicht »auf dem Mond« liegt, sondern von einer arabischen Bevölkerung umgeben ist, mit der man eine Verständigung suchen muss. Ein eigener jüdischer Staat würde diese Verständigung unmöglich machen, weil in ihm die Nicht-Juden immer nur Minderheitsrechte hätten. Außerdem würde sich ein jüdischer Staat zwangsläufig einer Großmacht, England oder Amerika, ausliefern. Und das Ergebnis, so prophezeit Hannah Arendt, wäre dann alles andere als ein Gelobtes Land: nämlich ein »Kriegerstamm« wie Sparta, umgeben von einer feindlichen arabischen Bevölkerung, der von seiner militärischen Verteidigung so in Anspruch genommen würde, dass jede wirtschaftliche Entwicklung, jeder kulturelle Fortschritt dadurch so gut wie zum Erliegen käme.
Für Hannah Arendt kann eine jüdische Heimstätte nur überleben, wenn man sich mit den arabischen Nachbarn versöhnt und friedlich zusammenlebt. Um das zu erreichen, muss man von allen nationalstaatlichen Plänen Abschied nehmen. Auch der Vorschlag eines binationalen Staates, wie er von Juck Magnes, dem Präsidenten der Hebräischen Universität in Jerusalem, vorgeschlagen wird, geht ihr noch nicht weit genug. Was ihr vorschwebt, ist eine Art »Mittelmeerföderation« oder eine noch größere Föderation europäischer Nationen, in der Palästina seinen Platz fände und in der es keine Mehrheiten und Minderheiten mehr gäbe und unterschiedliche nationale und politische Elemente gleichberechtigt koexistieren würden.
In den folgenden Jahren schreibt Hannah Arendt über fünfzig Artikel für den Aufbau und andere Zeitschriften. Sie gründet sogar eine Vereinigung, die so genannte »Jungjüdische Gruppe«, um auf die Politik der zionistischen Kreise in Amerika Einfluss zu nehmen. Letztlich jedoch hat sie mit ihrem Einsatz keinen Erfolg. Die Mehrheit der Zionisten entscheidet sich für einen Kurs, der im Mai 1942 auf einer Konferenz amerikanischer Zionisten im »Biltmore Hotel« in New York festgelegt worden ist. Der sozialdemokratische Zionist Ben Gurion hat sich dabei mit seiner Forderung durchgesetzt, am alten Traum vom eigenenjüdischen Staat weiterhin unnachgiebig festzuhalten. In diesem Programm spielt das Verhältnis zu den Arabern keine Rolle mehr. Es wird genau der Weg beschritten, vor dem Hannah Arendt so eindringlich gewarnt hat.
Nachdem viele ihrer Mitstreiter aufgegeben haben und »von der Armee nur noch der Trompeter übrig geblieben« 7 ist, zieht auch sie sich aus der zionistischen Politik zurück. Ohnehin liegt ihr nicht dran, sich längere Zeit an eine bestimmte Gruppe oder Partei zu binden. Sie möchte unabhängig bleiben. Auch hält sie sich von Natur aus nicht für einen »Handlungsmenschen«, sondern neigt eher zur geistigen Arbeit. Andererseits verabscheut sie aber jene jüdischen Gelehrten, die in Amerika um jeden Preis eine akademische Karriere machen wollen. Sie ist entschlossen, »in diesem herrlichen Lande des Jux eher vor Hunger zu krepieren als zu so einer Jammergestalt zu degenerieren« 8 .
Verhungern muss Hannahs Familie noch nicht, dennoch sind ihre Lebensumstände sehr armselig. Martha, Heinrich und Hannah wohnen weiterhin in ihren möblierten Zimmern, für die sie Miete zahlen müssen. Hannahs journalistische Arbeiten bringen nicht viel Geld ein. Heinrich hat einen neuen Job gefunden als deutschsprachiger Nachrichtensprecher beim Rundfunksender NBC. Aber diese Arbeit gibt er bald wieder auf, weil er dabei auch Artikel schreiben muss. Und Heinrich kann nur gut reden. Schreiben fällt ihm sehr schwer.
Hannah macht die Armut und die fehlende Perspektive nicht viel aus. Sie wird oft von einem kindlichen Übermut gepackt, der ihr das Gefühl gibt, über alle Schwierigkeiten hinwegkommen zu können. Aber
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