Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
ihre Gastgeber in der Arbeit sind, kann sich Hannah in den Garten legen und Bücher lesen. Abends dann ist ihre Gastfamilie begierig darauf, sich mit Hannah bis tief in die Nacht zu unterhalten. Von ihr wird erwartet, so klagt sie Heinrich, »sämtliche Welträtsel vom Versailler Vertrag bis zur Unsterblichkeit der Seele« zu lösen. Am Wochenende wird Hannah zu Besuchen bei Bekannten und Verwandten mitgenommen. Als jemand, der »out of the Night«, also aus der Finsternis des europäischen Krieges kommt, ist sie bei diesen Gelegenheiten immer im Mittelpunkt.
Früher als geplant nimmt Hannah Abschied von der Familie Giduz. Mitte August kehrt sie nach New York zurück. Sie hat Sehnsucht nach Heinrich, der sich inzwischen doch dazu durchgerungen hat, Englisch-Kurse zu nehmen, und einen Job gefunden hat, der ihm mehr zusagt als Chemikalienschaufeln. Im Auftrag eines Komitees, das Amerika zum Kriegseintritt bewegen will, schreibt er Reden und Artikel über die Kriege in der deutschen Geschichte und über Greueltaten der Nazis, die auch im Radio gesendet werden.
Hannah nimmt regen Anteil an Heinrichs Arbeit, zumal sie dadurch selbst wieder Anschluss findet an Probleme, die sie bereits in Berlin und Paris beschäftigt hatten. Ganz in ihrem Element ist sie dann, als sie ihrem alten Freund »Kurtchen« Blumenfeld wieder begegnet. Der Zionist Blumenfeld hält in New York einen Vortrag über das Thema einer jüdischen Armee.
Das ist eine Frage, die in jüdischen Kreisen zu dieser Zeit heftig diskutiert wird und ins Zentrum von Hannahs politischem Anliegen trifft.
Hannah Arendt ist entschieden dafür, dass die Juden mit einer eigenen Armee in den Krieg eingreifen. Das hat nichts mit Kriegstreiberei oder Militarismus zu tun. Sie zieht die Konsequenz, die sie nach ihrer Flucht aus Deutschland für sich gezogen hat, nun auch für ihr Volk. »Wer als Jude angegriffen wird, muss sich als Jude wehren«, hat sie schon damals gefordert und sich in der jüdischen Sozialarbeit engagiert. Nun tritt sie dafür ein, dass die Juden als jüdisches Volk auf die Verfolgung durch die Nazis antworten. Und das heißt für Hannah Arendt, dass sich die Juden nicht mehr auf die Hilfe anderer verlassen sollen und auch nicht mehr versuchen dürfen, durch Anpassung irgendwie und um jeden Preis zu überleben. Wenn die Juden selbst zu den Waffen greifen und als eines unter anderen europäischen Völkern gegen Hitler kämpfen, dann nehmen sie endlich ihr Schicksal selbst in die Hand und erhalten auch ihre Würde wieder.
Obwohl sie erst wenige Monate in Amerika ist, findet Hannah erstaunlich schnell ein Forum für ihre Auffassung. Nachdem sie an die deutschsprachige Zeitschrift Aufbau einen offenen Brief geschickt hat, ist der Chefredakteur Manfred George von der Kraft ihrer Argumentation so beeindruckt, dass er ihr eine Stelle als freie Mitarbeiterin im Feuilleton anbietet.
Im Aufbau erscheint ab November 1941 alle zwei Wochen eine Kolumne unter der Überschrift This means You , in der Hannah ihre Position verteidigt. So wachrüttelnd wie der Titel sind auch ihre Beiträge. »Wie die Axt«, so beschreibt Heinrich ihre zugleich leidenschaftliche und unerbittlich sachliche Art, die Dinge zu sagen. In ihrem ersten Beitrag schreibt sie: »Nur der wirkliche Krieg des jüdischen Volkes gegen Hitler wird dem phantastischen Gerede von dem jüdischen Krieg ein Ende – und ein würdiges Ende bereiten. Freiheit ist kein Geschenkartikel [...]. Freiheit ist auch keine Prämie für ausgestandene Leiden.« 6
Hannah Arendt schreibt diese Zeilen vor dem Hintergrund der Judenverfolgung durch die Nazis in Osteuropa und einer veränderten Politik der Briten in Palästina. Nachdem immer mehr Juden aus Europa nach Palästina eingewandert waren und bei der arabischen Bevölkerung der Widerstand gegen eine jüdische Übermacht immer größer wurde, haben die Briten beschlossen, die Einwanderungszahlen zu begrenzen. Flüchtlingsschiffen wird es verweigert, einen Hafen in Palästina anzufahren. Es kam schon zu Katastrophen wie dem Untergang des Transporters »Struma«, der nach langem diplomatischem Hin und Her einfach wieder ins offene Meer geschleppt und seinem Schicksal überlassen wurde. Das völlig überladene und manövrierunfähige Schiff ging wie erwartet unter. Nur zwei Überlebende konnten gerettet werden. Alle übrigen 760 Passagiere, die Hälfte davon Frauen und Kinder, ertranken.
Als Folge dieser Politik entstehen militante jüdische Gruppen wie die
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