Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
nationalsozialistischen Herrschaft begründet werden soll. Hitler hat mit Italien und Japan einen Dreimächtepakt geschlossen. Deutsche Truppen erobern Jugoslawien und Griechenland und der Überfall auf die Sowjetunion steht unmittelbar bevor. Amerika hält immer noch an seiner Neutralität fest. Dennoch hat Präsident Roosevelt es durchgesetzt, dass Länder wie England, die gegen Hitler kämpfen, mit Waffen und Kriegsmaterial unterstützt werden. Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland wird immer angespannter, so dass man von einem »nichterklärten Krieg« sprechen kann.
Als Hannah Arendt und Heinrich Blücher in New York ankommen, haben sie noch ungefähr fünfzig Dollar in den Taschen. Sie sind auf die Unterstützung durch Hilfsorganisationen angewiesen. Als Erstes weist man ihnen ein möbliertes Zimmer zu, in einem schäbigen Mietshaus mit Gemeinschaftsküche in der West 95th Street. Für Martha Arendt mieten sie im Haus ein separates Zimmer.
Von den Neuankömmlingen wird erwartet, dass sie möglichst schnell die englische Sprache lernen und sich nach Arbeit umsehen. Dabei müssen sich auch berühmte Gelehrte und Künstler oft mit einfachen Handlangerdiensten zufrieden geben. Hans Morgenthau, einem ’Politikwissenschaftler, bietet man einen Job als Fahrstuhlführer an. Der Komponist Paul Dessau arbeitet auf einer Hühnerfarm. Der Schriftsteller Walter Mehring ist Aufseher in einem Warenhaus. Und Hans Sahl soll für das Militär Flugschriften verfassen, die man dann mit Hilfe von Katapulten in die feindlichen Reihen schleudern will.
Heinrich Blücher zeigt wenig Lust, sich um irgendwelche Jobs zu bemühen. Eine Arbeit in einer Fabrik, wo er Chemikalien schaufeln musste, hat er schnell wieder aufgegeben. Lieber verbringt er die Tage in der kleinen Wohnung, liest Bücher oder besucht deutschsprachige Seminare an der »New School for Social Research«, einer in den dreißiger Jahren von deutschen Emigranten gegründeten Hochschule. Hannah ist weit davon entfernt, ihm wegen seiner Einstellung Vorhaltungen zu machen. Nur in seiner Nähe fällt von ihr der Zwang ab, »tüchtig zu spielen« 2 . Martha Arendt dagegen lässt Heinrich merken, dass sie von ihrem Schwiegersohn mehr erwartet. Pure Faulheit ist es für sie, dass Heinrich sich standhaft weigert, Englisch zu lernen. Auf seine Muttersprache zu verzichten, das wäre für Heinrich, als ob man ihm seine »Stradivari« klaue. Und eine neue Sprache könne niemals mehr für ihn sein als eine »Bierfidel«, behauptet er trotzig. 3 Martha Arendt selbst übernimmt Heimarbeiten für eine Strick- und Häkelfabrik. Mit ihren siebenundsechzig Jahren tut sie sich schwer, in einer fremden Welt noch einmal neu anzufangen. Die meiste Zeit ist sie zu Hause und führt den Haushalt für Hannah und Heinrich.
Als das unternehmungslustigste und lernbegierigste Mitglied der Familie Arendt-Blücher erweist sich Hannah. Um Englisch zu lernen, nutzt sie das Angebot einer Flüchtlings-Organisation, einige Wochen bei einer amerikanischen Familie als eine Art Au-pair-Gast zu leben. Mitte Juli kommt Hannah zu der Familie Giduz in Winchester, Massachusetts. Das kinderlose Ehepaar wohnt in einem typisch amerikanischen Einfamilienhaus, einer Art »Wohnmaschine mit Books« 4 , wie Hannah amüsiert und fasziniert an »Monsieur« und »Mutt« in New York berichtet. Sie hatte eigentlich erwartet, als Dienstmädchen eingespannt zu werden. Aber das Ehepaar Giduz ist ängstlich darum besorgt, sie nur ja nicht auszunutzen. Hannah genießt alle Freiheiten. Sie darf sogar im Haus rauchen, während der Hausherr, Mr Giduz, ein starker Raucher, dazu in den Garten gehen muss. Überhaupt hat Mr Giduz sehr viel Respekt vor der »puritanischen Strenge« 5 seiner Frau. Er beugt sich auch ihrer Überzeugung, »für gesunde Nahrung in den Tod zu gehen«, wie Hannah Mrs Giduz’ vegetarische Lebensweise beschreibt. Als Hannah einmal mit Mr Giduz allein zu Hause ist, bereitet sie ein »Riesenhuhn« zu, das sie beide dann mit Genuss »auffressen«. Nur zu Pommes frites kann sie ihn nicht überreden.
Hannah verdächtigt anfangs den kleinen, rotblonden Mr Giduz, ein Antisemit zu sein. Doch dann gesteht er ihr seine eigene deutsch-jüdische Abstammung und es stellt sich heraus, dass er, obwohl in Amerika geboren, noch gut Deutsch sprechen kann, manchmal »sächselt« er sogar. Aber seine jüdische Herkunft und seine Deutschkenntnisse verheimlicht Mr Giduz vor aller Welt wie ein Verbrechen.
Tagsüber, wenn
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