Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt

Titel: Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
Vom Netzwerk:
Einstellung zur Emanzipation. Für sie persönlich, antwortet Hannah Arendt, habe das Problem der Emanzipation nie eine Rolle gespielt. »Sehen Sie, ich habe einfach gemacht, was ich gerne machen wollte.« Der Interviewer kommt natürlich auch auf das Eichmann-Buch zu sprechen, das inzwischen in der deutschen Ausgabe erschienen ist und von Buchhandlungen in Deutschland boykottiert wird. Er stellt die Frage, ob Hannah Arendt es angesichts der Reaktion darauf lieber anders geschrieben hätte. »Nein«, antwortet sie. »Ich wäre vor der Alternative gestanden, zu schreiben oder nicht zu schreiben. Man kann ja die Schnauze halten.« 1
    Für Hannah ist es nicht selbstverständlich, vor einer Kamera aufzutreten. Einladungen zu Fernsehinterviews nimmt sie nur in Europa an. In Amerika lehnt sie solche Angebote grundsätzlich ab. Sie will nicht, dass ihr Gesicht zu bekannt wird und unter dieser Popularität dann ihr Privatleben leidet.
    Abgesehen von jener persönlichen Scheu Mit Hannah das Fernsehen für einen Segen, für eine Belebung der Demokratie, weil politische Auseinandersetzungen nun von vielen Menschen verfolgt werden können. Sie und Heinrich sitzen oft stundenlang vor dem Fernseher, um sich politische Debatten anzusehen. Bisher mussten sie dazu immer zu Freunden gehen. Anfang 1965 entschließen sie sich, ein eigenes »Television-Set« anzuschaffen.
    In erster Linie wollen sie die Nachrichten und die Verlautbarungen des neuen Präsidenten Lyndon B. Johnson zum Vietnam-Konflikt verfolgen. Am 2. und 4. August 1964 war der Zerstörer »Maddox« im Golf von Tonking angeblich von nordvietnamesischen Torpedobooten angegriffen worden. Präsident Johnson nahm diesen Zwischenfall zum Anlass, einen wirkungsvolleren Schutz des proamerikanischen Südvietnam vor Angriffen des kommunistischen Nordvietnam zu fordern. Der Kongress unterstützte diese Forderung mit einer Resolution. Dahinter steckte die so genannte »Domino-Theorie«, also die Befürchtung, dass bei einem Verlust von Südvietnam weitere Staaten dem Weltkommunismus in die Hände fallen würden.
    Hannah Arendt erwartet von Präsident Johnsons Asien-Politik nichts Gutes. Für besonders gefährlich hält sie die Vorstellung, dass die Supermacht Amerika für den Frieden auf der ganzen Welt verantwortlich sein soll.
    Im Februar 1965 beginnt die amerikanische Luftwaffe mit der Bombardierung von Nordvietnam. In den USA formiert sich öffentlicher Widerstand gegen den Krieg in Asien. Und an den Universitäten wird der Widerstand zum offenen Protest. In Berkeley, wo die ersten Unruhen ausbrechen, hindern Studenten einen Zug mit Soldaten an der Weiterfahrt. Doch die Kritik an der amerikanischen Politik in Vietnam ist nicht der einzige Grund für die Studentenunruhen. Es geht dabei auch um Mitbestimmung an den Universitäten und um die Benachteiligung schwarzer Studenten.
    Hannah verfolgt die Vorgänge in Berkeley mit großem Interesse. »In Berkeley«, so schreibt sie an Karl Jaspers, »haben sie alles durchgesetzt, was sie wollten – und können und wollen nun nicht abblasen; nicht aus Bosheit oder Verhetztheit, sondern einfach, weil sie Blut geleckt haben, was es heißt, wirklich zu handeln, und nun, da die Ziele erreicht sind, nicht wieder nach Hause wollen. Das ist sehr gefährlich, gerade weil es sich um etwas ganz Echtes handelt.« 2
    Was dieses »ganz Echte« ist und warum es auch »gefährlich« sein kann, das hat Hannah Arendt in ihrem Buch On Revolution beschrieben. Es ist 1963 erschienen, stand aber im Schatten der Eichmann-Affäre. Inzwischen hat es Hannah unter dem Titel Über die Revolution ins Deutsche übersetzt.
    Das Buch über die Revolution knüpft an Vita activa an. Dort ging es darum, was eigentlich Handeln bedeutet, nämlich Initiative ergreifen, zusammen mit anderen etwas Neues beginnen. Revolution ist nun sozusagen Handeln im großen Maßstab, das Ereignis, mit dem in der Geschichte eine alte Ordnung über Bord geworfen und ein neuer Anfang gewagt wird. Der Mut und die Begeisterung, etwas Neues anzufangen, wobei man eigentlich keine rechte Vorstellung davon hat, was dabei herauskommt, das ist für Hannah Arendt etwas Mitreißendes, etwas »ganz Echtes«, eine elementare Erfahrung von Freiheit.
    Gleichzeitig stellt sich die Frage, was aus diesem ersten spontanen Impuls wird. Wie kann man verhindern, dass er in Chaos und Gewalt endet? Wie kann man Einrichtungen und Absicherungen schaffen, um diesen Impuls zu erhalten und ihn zu stabilisieren?
    Hannah

Weitere Kostenlose Bücher