Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Krieg«. Es sei vor allem die Angst vor einem Vormarsch des Kommunismus in Asien, die alle vernünftigen Lösungen verbaue. Mit einigen sozialistischen oder kommunistischen Regierungen in Asien könnte Amerika sehr gut leben, meint sie. Aber für diese Lösungen sei es jetzt zu spät. Das Hauptproblem sei, wie Amerika aus diesem Konflikt wieder herauskomme. Hannah hält sich in der öffentlichen Diskussion über Vietnam zurück und hat auch nicht das Bedürfnis, sich einer Protestbewegung anzuschließen.
Ganz anders Mary McCarthy. In Paris sitzt sie wie auf Kohlen. Sie möchte auf irgendeine Weise gegen die amerikanische Politik in Vietnam demonstrieren. Aber als Ehefrau eines Diplomaten sind ihr die Hände gebunden. Mary hat Angst, dass der Krieg eskaliert. Sollte es dazu kommen, dass Hanoi bombardiert werde, meint sie, wäre es das Ende, soweit es sie betreffe. »Ich würde es nicht mehr akzeptabel finden, weiter Amerikanerin zu sein.« 6
Mit ihren Zweifeln und Ängsten fühlt sich Mary McCarthy oft allein und in ihren Briefen aus Paris bekennt sie immer wieder, wie sehr Hannah ihr fehlt. »Liebe Hannah, ich vermisse dich schrecklich«, schreibt sie. »Ich habe richtig Heimweh nach dir.« Hannah geht es nicht anders. Seit der Eichmann-Affäre fühlt sie sich Mary noch verbundener. Viele andere Freunde haben sich ihr entfremdet. Sie ist zwar berühmter denn je – Ehrendoktortitel werden ihr verliehen und sie ist in das »National Institute for Arts and Letters« aufgenommen worden –, doch dieser Ruhm ist ihr auch lästig. »Mir machen die Vorträge keine Freude«, schreibt sie. »Wohin ich komme, überfüllte Säle; ich hasse das. Wenn ich auf Gesellschaften gehe, bin ich abgestempelt – berühmt! Es wird sich ja alles wieder geben, aber vorläufig ist es abscheulich! Mir ist zumute wie einem Tier, dem alle Zugänge versperrt sind – ich kann mich nicht mehr geben, weil mich niemand nimmt, wie ich mich gebe; alle wissen Bescheid. Nur die Ausgänge bleiben offen und ich gehe also nirgends hin oder gleich wieder weg. Aller Spaß ist futsch.« 7
Was Hannah zusätzlich belastet, ist, dass sie zweimal im Jahr in Chicago unterrichten muss und Heinrich oft wochenlang nicht sieht. Dabei geht es ihm gesundheitlich nicht gut. Die Arbeit am Bard College kostet ihn viel Kraft. Die Sorge um ihn ist ihr ständiger Begleiter. »Wir sind nun 28 Jahre zusammen«, schreibt sie an Mary, »und ein Leben ohne ihn wäre undenkbar.«
Heinrich geht es nach einem anstrengenden Semester im Sommer 1965 wieder so gut, dass er Hannah auf ihrer alljährlichen Europareise begleitet. Sie besuchen Mary McCarthy im norditalienischen Bocca di Magra, wo sie mit ihrem Mann James West und dessen Kindern den Urlaub verbringt. Hannah und Heinrich bleiben nur wenige Tage und fahren dann weiter nach Basel zu Karl Jaspers.
Jaspers ist inzwischen ein sehr alter und sehr kranker Mann. Sein körperlicher Zustand ist, wie er meint, »nicht gerade gemütlich«. Er hat Darmblutungen, die mit Bluttransfusionen behandelt werden müssen, und ein Muskelrheumatismus verursacht bei jeder Bewegung Schmerzen. Geistig ist er noch sehr vital. Er hat dem Herausgeber des Nachrichtenmagazins Der Spiegel , Rudolf Augstein, ein Interview gegeben, in dem er die Politik der Adenauer-Regierung scharf kritisierte und auch Hannah Arendts Ansichten verteidigte. Daraufhin bekam er viele boshafte Briefe aus Deutschland. In einem wird er beschimpft als »Judenknecht«, »Verräter« und »steriles Reptil«. Jaspers’ Kampfeslust kann das nicht anfechten. Er möchte noch einen Artikel über die Situation der Bundesrepublik schreiben und das geplante Buch über unabhängiges Denken am Beispiel von Hannah in Angriff nehmen, um ihrem »Trompetenstoß Nachhaltigkeit zu schaffen«. Doch Jaspers’ Arbeitskraft lässt immer mehr nach. Er wird schnell müde und seine Hand schmerzt beim Schreiben. Hannah wird das Gefühl nicht los, es könnte das letzte Mal sein, dass sie ihn sieht.
Als Hannah und Heinrich wieder in New York zurück sind, müssen sie erfahren, dass sie einen anderen gemeinsamen Freund nicht mehr sehen werden. Randall Jarrell, Hannahs Märchenfigur, ist von einem Auto überfahren worden. Der Fahrer des Wagens berichtet, dass Randall direkt vor ihm auf die Fahrbahn gelaufen sei. Für Hannah ist es Selbstmord. Sie weiß, dass er seit langem in psychiatrischer Behandlung war. Und als sie ihn das letzte Mal sah, hatte er das Lachen, das sie so an ihm mochte, verloren, und
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