Beruf Philosophin oder Die Liebe zur Welt Die Lebensgeschichte der Hannah Arendt
Überfluss hatte Mary McCarthy dann auch noch einen schweren Bandscheibenvorfall, der sie vorübergehend sogar in den Rollstuhl zwang. In München bei Hannah geht es ihr schon wieder besser, aber sie muss noch eine Halsstütze tragen.
Am 17. Juni 1961 fliegt Hannah Arendt wieder nach Jerusalem. Der Prozess wird fortgesetzt und sie möchte unbedingt Eichmann im Zeugenstand erleben. Das Urteil ist erst im Dezember zu erwarten. Hannah bleibt nur wenige Tage, sie muss in Zürich sein, wenn Heinrich am 24. Juni dort eintrifft. Heinrich hat seine Abneigung gegen Flugzeuge überwunden und ist nach Europa gereist. Zu seiner Ankunft am Züricher Flughafen kommt sein alter Freund Robert Gilbert, den er seit Berliner Zeiten nicht mehr gesehen hat, extra aus Locarno. Gilben hat sich inzwischen einen Namen als Kabarettist und Übersetzer amerikanischer Musicals gemacht.
Den Besuch bei den Jaspers haben Hannah und Heinrich auf Juli gelegt. Zuerst wollen sie ihre Italienreise unternehmen. Über den Gotthard-Pass fahren sie direkt nach Pisa und weiter nach Rom und nach Sorrent. Von Sorrent aus lassen sie sich mit dem Auto herumfahren, »wie es sich für ältere Herrschaften gehört«. Sie besuchen Capri, Pompei, Salerno und Amalfi. Besonders hat es ihnen die griechische Kolonialstadt Paesturn angetan. Heinrich ist so begeistert, dass er sogar von einer möglichen Griechenlandreise spricht.
Mitte Juli sind die beiden wieder zurück in der Schweiz und es kommt zu dem lang ersehnten Treffen zwischen den Jaspers und Heinrich Blücher. Karl Jaspers hat von Hannah schon so viel über Heinrich gehört, dass er das Gefühl hat, ihn bereits lange zu kennen. Und zwischen den beiden herrscht sofort eine innige Vertrautheit, obwohl Herkunft und Lebensweg des Autodidakten aus den Berliner Hinterhöfen und des Professors aus gutbürgerlichem Hause nicht verschiedener sein könnten. Das Treffen wird zu einer »Orgie der Freundschaft«, wie Heinrich später meint, und zwischen allen wird vereinbart, sich in Zukunft zu duzen.
Hannah denkt auch an Heidegger. Sie schreibt ihm und teilt ihm mit, wo er sie erreichen kann. Aber er meldet sich nicht. Schließlich ist es wieder Hannah, die den Schritt aufeinander zu macht. Sie fährt, als Heinrich seinen Freund Robert Gilbert in Locarno besucht, nach Freiburg. Sie ist eingeladen worden von dem Freiburger Professor Joseph Kaiser, der mit seinem Freund in einem ganz extravaganten Haus wohnt. Kaiser veranstaltet zu Ehren Hannah Arendts eine Feier, zu der er auch den Philosophen Eugen Fink, einen engen Freund Heideggers, einlädt. Doch der lehnt »brüsk« ab. Er wünsche Hannah Arendt nicht zu sehen, meint er und macht deutliche Hinweise auf Heidegger.
Hannah vermutet, dass hinter diesem merkwürdigen Benehmen Heidegger steckt, der über ihren Brief und die versagte Widmung verärgert ist. Später schreibt sie an Karl Jaspers: »Ich habe ihm gegenüber mein Leben lang gleichsam geschwindelt, immer so getan, als ob ich nicht existiere und als ob ich sozusagen nicht bis drei zählen kann, es sei denn in der Interpretation seiner eigenen Sachen; da war es ihm sehr willkommen, wenn sich herausstellte, dass ich bis drei und manchmal sogar bis vier zählen konnte. Nun war mir das Schwindeln plötzlich zu langweilig geworden, und ich habe eins auf die Nase gekriegt. Ich war einen Augenblick lang sehr wütend, bin es aber gar nicht mehr. Bin eher der Meinung, dass ich es irgendwie verdient habe – nämlich sowohl für Geschwindelthaben wie für plötzliches Aufhören mit dem Spiel. 7
Anfang August kehren Hannah und Heinrich zurück nach New York. Für beide beginnt wieder der Alltag. Heinrich ist die Woche über am Bard College und Hannah hält ihre Lehrveranstaltungen. Sie macht sich auch daran, die Berge von Material zu sichten, die sie zum Eichmann-Prozess zusammengetragen hat, um den Bericht für den New Yorker zu schreiben.
Im Herbst gibt Hannah Kurse an der Wesleyan University. Als sie mitten in der Arbeit steckt, erhält sie die Nachricht, dass Heinrich einen gesundheitlichen Zusammenbruch erlitten hat und im Krankenhaus liegt. Lotte Beradt, eine alte Freundin, hatte Heinrich in einem ziemlich schlimmen Zustand in der Wohnung am Riverside Drive aufgefunden. Er hatte sich mit der eigenen Zigarette Verbrennungen zugefügt und die Wohnung war ein einziges Chaos von verstreuten Papieren und umgekippten Möbeln.
Hannah eilt sofort nach New York. Mary McCarthy springt für sie an der Universität ein und
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