Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
tun, als hätte sie ihre Fähigkeit nicht angewandt, so wusste sie doch, dass die Bande nicht aufhören würde, sie zu suchen. Es war ein Wunder, dass sie sie aus Lhapata hatte ziehen lassen. Nicht zuletzt hätte sie sich bis an ihr Lebensende selbst gehasst, wenn sie – jetzt da sie um das Elend der Teufelskinder wusste – nicht alles in ihrer Macht stehende täte, um einen Weg zu ihrer Erlösung zu finden.
Und dieser Weg hatte sie geradewegs in den Wald Jwyns geführt, dem gefallenen Königreich. Eben dies war der Grund, weshalb sie hierher gekommen waren. So sehr Crevi es auch zu verhindern suchte, immer wieder tauchten die geschriebenen Worte ihres Vaters vor ihrem inneren Auge auf.
Meine liebe Crevi,
Du hast auch die zweite Perle gefunden? Sehr gut, Kleines. Damit hättest Du die Hälfte Deines Abenteuers bestanden. Es sind vier Perlen, die von Nöten sind, um das zu tun, was getan werden muss. Jetzt weißt Du es.
Ich hoffe, dass Du mittlerweile Forschritte bezüglich Deiner Fähigkeiten gemacht hast? Bis zum Ende solltest Du in der Lage sein, sie einwandfrei anzuwenden. So viel sei hier schon einmal angemerkt. Andernfalls wirst Du nicht in der Lage sein, den Weg freizulegen, den ich für Dich bestimmt habe.
Der nächste Ort, den Du aufsuchen sollst, ist ein gefährlicher Ort. Lieber würde ich Dich darum bitten, einen großen Bogen um diese Gegend herum zu machen, doch leider muss ich Dich bitten, geradewegs hindurch zu gehen.
» Perlen töten,
zerstören Königreiche
Wieder anderen, sichern sie
au f dem Haupt den gold’nen Reife «
Ich wünsche Dir wie immer viel Glück.
Ich liebe Dich.
Dad
Nun befanden wir uns im gefallenen Königreich, um die dritte Perle in unseren Besitz zu bringen. Danach würde uns bereits die letzte Station erwarten.
Crevi dachte, dass sich die Welt mit einem Mal viel schneller drehte, als es gut war. Wie sollte sie ihre Gabe vollends zu beherrschen lernen? Nicht nur dies war ihr ein Rätsel, sondern ebenfalls, wo wir die nächste Perle finden sollten. Der Wald war riesig – und ihr Vater hatte ihr keinen weiteren Hinweis hinterlassen. Manchmal fragte sie sich, ob sie in der Lage sein sollte, die Gedanken eines Toten zu lesen.
Ihr war bewusst, dass sie die Zeit, die wir ratlos verbrachten, nutzen sollte, um ihre Bestimmung zu meistern, nur konnte sie sich nicht dazu überwinden.
Einem dunklen Schatten gleich legte sich die Furcht über ihr Gemüt, wenn sie sich nur vorstellte, die Kräfte zu entfesseln, mit denen sie solch entsetzliche Dinge anstellen konnte. Selbst der Gedanke mit leblosen Gegenständen zu üben, behagte ihr nicht länger.
Das Knacken eines Astes riss sie aus ihren Gedanken und sie wirbelte herum. Ihre Augen huschten über den menschenleeren Pfad, glitten dann zu Boden, wo sie ein Eichhörnchen nach einer Eichel greifen sah, die am Rand des Weges zwischen einer Decke aus Blättern hervorlugte.
Crevi richtete ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne, wo Ennyd vor ihr herschlenderte. An einer kaum erkennbaren Abzweigung blieb er abrupt stehen.
» Was ist?« Mit zwei schnellen Schritten hatte sie ihn eingeholt und versuchte, seinen Gesichtsausdruck zu deuten. »Stimmt etwas nicht?«
» Ich bin nicht ganz sicher.«
» Was soll das heißen?«, verlangte Crevi zu wissen. Suchend hielt sie nach der Silhouette des kleinen Häuschens Ausschau, das sie nirgendwo entdecken konnte. Dabei hatten sie das Ende des Pfades erreicht.
Während sie auf Ennyds Antwort wartete, die nicht kommen wollte, wurde es mehr und mehr zur Gewissheit. Sie hatten sich verlaufen.
Äußerst verlegen zog sich der Dieb den Hut vom Kopf, murmelte: »Ich fürchte, ich habe den eigentlichen Pfad aus den Augen verloren. Wir sind vom Weg abgekommen.« Bevor sie etwas sagen konnte, hob er eine Hand. »Aber keine Sorge, ich brauche nur kurz, um mich neu zu orientieren.«
Was sollte sie dazu sagen?
Die Fäuste geballt, um ihre Wut zu unterdrücken, ihre Wut, auf sich selbst, dass sie sich überhaupt auf einen Spaziergang eingelassen hatte, wartete Crevi darauf, dass Ennyd etwas sagte. Es sah aus, als horche er, dann wiederum drehte er sich im Kreis und schien zu schnüffeln. Schließlich deutete er auf einen der nahe stehenden Bäume. »Ich muss mir das Ganze mal von oben ansehen. Wartest du solange hier?«
Sie nickte, fragte sich aber, wie er an der bloßen Rinde des Stammes hinaufklettern wollte. Nur wenig später wurde sie davon überzeugt, dass er zweifellos
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