Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
zwischen den Bäumen zu erkennen. Die Umgebung war ein einziges Paradies. Crevi konnte sich nicht vorstellen, dass man sich an einer Pracht wie dieser jemals satt sehen konnte und dennoch ahnte sie, dies alles war eine Finte des Waldes, denn er war vor langer Zeit verflucht worden – so hieß es.
Ennyd klopfte ihr auf die Schulter . »Natürlich. Das verspreche ich dir. Immerhin habe ich Monate hier gelebt. Auf der Flucht schien mir dieser Ort perfekt«, setzte er zu einer Erklärung an. »Ich musste irgendwohin, wo man schon bald meine Fährte verlieren und die Suche abbrechen würde.«
Kaum merklich kroch Kälte in Crevis Glieder, trotz der Schwüle. Sein Phantom , durchfuhr es sie. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schaute auf ihre Stiefelspitzen, um Ennyd nicht ansehen zu müssen. Ihr war überdeutlich bewusst, dass das Sinken der Temperatur nur auf seine Gegenwart zurückzuführen sein konnte.
» Ist alles in Ordnung, Ennyd?«, wandte sie sich vorsichtig an ihn. Konnte sie seinem Gesicht auch keine Regung entnehmen, so ahnte sie, das sie ihn in auf irgendeine Weise gereizt hatte, ansonsten hätte sie seine deutlich hervortretende Aura nicht wahrnehmen können.
» Natürlich«, zischte er und funkelte sie an.
In stillem Ärger richtete er den Blick stur geradeaus. Dabei bemerkte sie die kaum erkennbaren Linien, die unter seiner Augenklappe hervor krochen und seine Haut mit Rissen durchzogen. Als sich das Mondlicht auf seiner Wange brach, funkelte das Gesicht blitzend auf und Crevi bemerkte fasziniert und schockiert zugleich, dass es sich dabei um Eis handelte.
Plötzlich fuhr er zu ihr herum und starrte sie an, als wisse er selbst nicht mehr genau, warum er eigentlich wütend auf sie geworden war. »Es tut mir leid.«
Crevi fühlte sich hundeelend . »Es ist nicht deine Schuld«, murmelte sie.
Es war einzig und allein ihre Schuld!
Die Schuld einen Menschen seiner Menschlichkeit beraubt zu haben, lastete noch immer schwer auf ihren Schultern. Noch immer konnte sie nicht fassen, dass wirklich sie dafür verantwortlich sein sollte. Es war unabänderlich und sie musste den Tatsachen ins Gesicht sehen.
Kaum stellte sie sich dieser Wahrheit, spürte sie, wie es heiß in ihren Augen zu brennen begann.
Anfänglich war es schrecklich gewesen Ennyd nur anzuschauen. Sofort wurde sie an ihr Versagen erinnert, daran, nicht mehr Herrin ihrer Gabe gewesen zu sein und jeden Augenblick hatte sie Zeuge seines Leids werden müssen. Sie wusste nicht, was genau ein Phantom ausmachte, Tatsache war, dass irgendetwas ihn anfänglich zerrissen haben musste. Nur mit Myriams Hilfe war es dem Dieb gelungen, ein wenig Kontrolle über das, was sie in ihm verändert hatte, auszuüben.
Doch auch jetzt noch war offensichtlich, dass Ennyd kein Mensch mehr war und sein Makel über das normale Stadium, in das Yve und Jayden einzuordnen waren, hinausging.
Die Hexe hatte nicht darüber sprechen wollen, wie sie Ennyd geholfen hatte. Sie hatte Crevi nur wissen lassen, dass es sich bei einem Phantom ganz ähnlich wie mit den Dämonen verhielt. Im Grunde genommen wäre das Dasein eines Phantoms zwischen dem normalen Makel und den Dämonen und Unholden einzuordnen. Über Letztere hatte Myriam nicht viele Worte verloren.
» Du wolltest mir nur helfen«, meinte ihr Begleiter und strich, ehe Crevi zurückweichen konnte, zärtlich über ihre Wange, um ihre Tränen fortzuwischen.
Schnell drehte sie den Kopf und sagte : »Das hättest du nicht tun sollen.«
Er nickte kommentarlos und steckte seine Hände in die Taschen seines Jacketts.
Sie war froh, dass er nichts mehr sagte.
Für ein paar Minuten stiefelten sie schweigend durchs Unterholz. Ein lauwarmer Wind blies Crevi die Haare ins Gesicht. Langsam überkam sie Müdigkeit . »Wollen wir uns wieder auf den Rückweg machen?«, schlug sie vor und musste ein Gähnen unterdrücken. Sie blieb stehen und wartete auf seine Antwort.
» Es ist kürzer, wenn wir die Runde zu Ende gehen. Danach kommen wir wieder beim Haus an.«
Sie nickte.
Schließlich wurde ihr die Stille, die zwischen ihnen herrschte, unangenehm. Also suchte sie nach einem neuen Gesprächsthema. Fragte, was ihr als erstes in den Sinn kam. Nicht sonderlich originell, aber ein Anfang. »Wieso musstest du in den Wald fliehen?«
» Willst du die Wahrheit hören?«
» Ich bitte darum.«
» Ich war auf der Flucht vor Männern, die Recht schaffen wollten.« Ennyd suchte nach einer passenden Formulierung. »Man hatte mich
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