Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
Wangen.
Der Wald drehte sich.
Ihr Lauf wurde schlagartig gebremst, als sie über etwas stolperte und der Länge nach hinschlug. Sie brauchte nicht lange, um festzustellen, was ihren Sturz zu verantworten hatte. Kaltes Grauen packte sie und kreischend prallte sie zurück. Die toten, noch immer schreckensgeweiteten Augen einer jungen Frau starrten sie an.
Am ganzen Körper zitternd wich Crevi von der Leiche zurück. Starrte zuerst auf ihre blutverschmierten Hände, dann zurück zu dem grausam zugerichteten Körper. Eine dunkle Flüssigkeit – es musste Blut sein – lief in dünnen Rinnsalen in einer nicht weit entfernten Lache zusammen, Blut, das nun überall an Crevis Kleidung, Gesicht und Haaren klebte. Der Schock saß ihr so tief in den Gliedern, dass sie nicht einen klaren Gedanken fassen konnte.
Der widerlich metallische Geruch stieg ihr in die Nase und ließ sie schwindeln. Das Bild der jungen Frau brannte sich in ihr Gedächtnis und sie wusste, dass sie es niemals mehr vergessen würde. Nachdem sie den ersten Schrecken überwunden hatte, musste sie würgen und hustend erbrach sie sich. Unkontrollierbare Schluchzer schüttelten sie dabei.
Plötzlich erbebte der Boden und sie fuhr herum.
Benommen wischte sie sich über den Mund und versuchte, sich wieder zu fassen. Die Lethargie, die von ihr Besitz ergriffen hatte, verhinderte jede sinnvolle Reaktion, als sie jemanden auf sich zusteuern sah.
» Ich bin’s nur. Ennyd«, seine Stimme klang matt, als er vor ihr in die Hocke ging und sie in seine Arme zog. Sie ließ es widerstandslos geschehen. Im Augenblick hätte sie gar nicht anders gekonnt. »Ich weiß nicht wieso, aber der Dämon ist davongelaufen.« Also tatsächlich ein Dämon , Crevi schluckte schwer. Ein Dämon wie Vlain und Adrian. Ennyd hob sie vom Boden. »Machen wir, dass wir hier weg kommen.«
Sie nickte schwach. Kurz überkam sie das Gefühl die Tote würde ihr nachsehen.
»Ich will zurück«, raunte sie und beobachtete wie der Waldboden unter ihr dahin zog.
» Ich weiß«, war seine schlichte Antwort.
Eine Weile noch trug er sie, bis er sicher war, sie würde wieder auf eigenen Beinen stehen können. Crevi war froh aus der unschicklichen Situation befreit zu sein.
»Riechst du das?«, wollte Ennyd mit einem Mal wissen.
» Was denn?«
» Komm mit!« Er ergriff ihre Hand und zog sie mit sich. Stolpernd folgte sie ihm eine kleine Anhöhe hinauf. Dort hielt er inne.
Da sah sie es.
Direkt vor ihnen endete der dichte Baumbestand und gab den Blick auf ein Dorf frei. Einfache Strohhütten standen dicht bei dicht und überspannten eine Fläche, die zu groß war, um sie als Ganzes ins Auge zu fassen.
Was sie jedoch erschütterte war das völlige Fehlen von Leben. Kein Zeichen. Crevi wurde sogleich eiskalt. Die Stille des Todes. Nur das Knistern von weit entfernten Flammen. »Dort«, raunte Ennyd und zeigte. Jetzt bemerkte auch sie die feinen Rauchsäulen, die in einiger Entfernung zwischen den Behausungen empor stiegen und sich als weißer Schleier vor dem Nachthimmel abhoben. »Verbranntes Fleisch«, sprach er aus, was auch sie schon befürchtet hatte.
» Beim Schöpfer, wieso sollte jemand…so etwas tun?«, wisperte sie. »Was ist hier geschehen?«
» Er hatte Recht!«, schrie Ennyd unvermittelt, riss sich den Hut vom Kopf und raufte sich die Haare. »Er hat nicht gelogen…« Er sank in die Knie.
» Was meinst du?« Crevi näherte sich ihm und legte ihm Trost spendend eine Hand auf die Schulter.
Er suchte nach den richtigen Worten . »Der Dämon…er sagte, sie wären über einen Stamm hergefallen – und dann teilte er mir mit, ich würde schon bald unter den Toten weilen und sei wohl entkommen. Ich wollte ihm natürlich nicht glauben! Wie viele Dämonen wären denn von Nöten, um einen ganzen Stamm auszulöschen? Dazu noch ist es ungewöhnlich, dass sich diese Kreaturen zusammenschließen. Das ließe sich nur erklären, wenn sie…«
» …der Bande angehören«, beendete Crevi seinen Satz und wurde kreidebleich. »Denkst du, sie könnten in Wahrheit auf der Suche nach uns sein? Nach mir?«
Ennyd war nicht weniger beunruhigt als sie . »Möglich ist es.«
» Wir müssen sofort zurück zu den anderen.«
» Nein.«
» Nein?« Unwillkürlich hob sie die Stimme.
» Denk nach, Crevi«, verlangte er.
Sie wusste nicht worauf er hinaus wollte. Sie durften keine Zeit verlieren und er stellte sie vor Rätsel! Was konnte wichtiger sein, als ihre Freunde zu warnen ? »Ich weiß
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