Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Judenprogramm gesagt habe: »Wir werden alle Juden aus den leitenden Stellungen entfernen, aus der Presse, aus dem Theater, aus dem Film, aus der Schule, aus den Universitäten, aus jedem Amt, jeder Würde, jeder Stellung, in der sie ihren zerstörenden Einfluß zum Schaden des Deutschen Volkes ausüben können. Nur der anständige jüdische Kaufmann wird ungestört seinen Geschäften nachgehen können.«
Der anständige jüdische Kaufmann, war das Vater? »Warum, Leon, warum planen sie das?« fragte Therese. »Ich glaube«, sagte Leon, »daß es sinnlos ist, danach zu fragen. Es gibt zu viele Antworten. Oder keine.«
Er wußte es nicht. Leon wußte einmal etwas nicht. Es war Therese sehr sympathisch, daß Leon einmal etwas nicht ganz genau wußte. Doch gerade auf diese Frage hätte sie gerne eine Antwort gehabt. Sogar von Leon.
In den nächsten Tagen hörte Therese dann, daß in vielen Städten Deutschlands Bücher verbrannt worden waren, in Dresden, in Breslau, in Frankfurt und in Berlin, wo Propagandaminister Goebbels eine Rede gehalten hatte.
Therese las im ›Völkischen Beobachter‹, daß der berühmte Regisseur Erwin Piscator ausgebürgert worden war, weil er, so hieß es, im Juli 1934 für den Prager ›Gegenangriff‹ einen Artikel mit blutrünstigen Verleumdungen über Deutschland geschrieben habe. Derzeit treibe Erwin Piscator sich in Moskau und Paris herum. Ebenso ausgebürgert war Klaus Mann, von dem es hieß, daß er im ›Neuen Tagebuch‹ in Paris und Amsterdam Hetzartikel gegen Deutschland schreibe. Der Jude Alfred Kantorowicz, so las Therese weiter, sei ein kommunistischer Journalist und fanatischer Hetzer, der als Mitarbeiter der deutschfeindlichen Blätter ›Freie Presse‹ in Amsterdam arbeite und für die ›Blauen Hefte‹ in Wien schreibe. Auch die SchauspielerinCarola Henschke-Neher, die Frau Klabunds, die, so fand Therese, wunderschön war und begabt, auch sie wurde ausgebürgert. Thomas Mann und Jakob Wassermann waren aus der Preußischen Akademie der Künste ausgeschlossen worden. Thereses Eltern hatten erfahren, daß die Familie Mann nach Amerika emigriert war. Die Tochter Erika, die zusammen mit Therese Giehse das Kabarett »Die Pfeffermühle« gegründet hatte, war mit ihrem Ensemble nach Zürich gegangen. Derzeit, so hatte Therese von ihrer Tante Otti erfahren, trat die Truppe mit viel Erfolg in Basel auf. Tante Otti verfolgte alles, was Therese Giehse anging, mit Neugier und gleichzeitigem Nichtbegreifen. Otti hatte mit Therese Giehse gemeinsam eine Mädchenschule in Schwabing besucht, in der Franz-Joseph-Straße. Eine Nichte des Pädagogen Pestalozzi, Julie Kerschensteiner, hatte dort ein Institut für Mädchen gegründet. Tante Ottilie berichtete halb geniert von sich, daß sie ein hübsches Mädchen gewesen sei, aber Therese Giehse ganz und gar nicht. Dick sei sie gewesen und habe basedowsche Augen gehabt, und nun sei sie eine berühmte Kabarettistin, unglaublich. Aus Tante Otti sprach die Blasiertheit der höheren Tochter, die mit diesem Status ins Grab sinken würde. Therese jedoch interessierte sich intensiv für ihre Namenscousine. Es erfüllte sie mit einer eigentümlichen Befriedigung, daß sie den gleichen Namen trug wie Therese Giehse. Könnte sie doch, gleich ihr, in Zürich leben und von dort aus ihre Stimme gegen Hitler erheben. Vielleicht mußte man dick sein und basedowsche Augen haben, um von seinem eigenen Ich loszukommen, ein Kabarett zu begründen. Wenn es mehr Menschen wie Therese Giehse und Erika Mann gegeben hätte, wer weiß, ob es dann nicht in Deutschland jetzt anders aussähe.
Manchmal hatte Therese das Gefühl, daß Deutschland von einem dichten Netz überzogen werde, von einemGitter, das sich immer enger zusammenzog, scharfe Kanten hatte, und dadurch jeden, der sich unvorsichtig bewegte, verletzte. Schon im März hatte der ›Völkische Beobachter‹ geschrieben, daß es in Dachau jetzt ein Konzentrationslager gebe. Jeder, der den Nazis unangenehm auffiel, konnte ohne richterliche Erlaubnis von der Gestapo in Schutzhaft genommen werden. Anni hatte von einem Freund Girgls, von Fritz Endriß, gehört, daß in Dachau die Menschen geschlagen und gefoltert wurden. Daß sie bei den Rüstungsbetrieben BMW, Dornier und Messerschmitt unmenschlich hart arbeiten mußten, daß bereits einige Häftlinge dadurch gestorben seien oder zu Tode gequält wurden. Manchmal war es Therese, als hinge Furcht über dem Land wie eine Nebelwolke, die einem den Weg zu
Weitere Kostenlose Bücher