Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Existenz, wurde rasch der große Multifunktionär Hitlers. Er war Stadtrat in München und Reichstagsmitglied. Noch in den frühen Zwanzigern soll er ein gefürchteter Anführer der SA-Schlägertrupps gewesen sein. In mehr als einhundertfünfzig Gerichtsverfahren war er verwickelt. Jetzt hatte er zahllose Ehrenämter. Warsogar einer der Vorsitzenden der Münchner Kammerspiele, was deren Spielleiter sehr zu schaffen machte. Denn Webers künstlerischer Geschmack hielt sich in engen Grenzen. Er war nicht nur Präsident des Pferderennvereins München-Riem, ihm gehörte auch ein großes, gutgehendes Bordell in der Senefelderstraße, daher seine Ernennung zum Senefeldmarschall.
»Haben Sie keine Angst, sich über die Nazis lustig zu machen?« fragte Sybille die junge Frau.
»Na, hab ich net«, gab die gleichmütig zur Antwort. »Sie werden mich bestimmt net hinhängen.«
Auf dem Nachhauseweg fragten sich Therese und Sybille, ob die Frau wohl geahnt habe, daß sie mit Jüdinnen zusammensitze. Daß daher ihre Furchtlosigkeit kam. Die ständige Angst, als Jüdin entdeckt zu werden, wurde von Tag zu Tag stärker. Außer im Gespräch mit den engsten Verwandten mußten sie sich jedes Wort überlegen. »Ich glaube«, sagte plötzlich Sybille in Thereses Gedanken hinein, »ich glaube, ich kann mich noch lange nicht daran gewöhnen, daß wir keine Rechte mehr haben. Daß jeder mit uns machen kann, was er gerade möchte. Ich fühle mich wie eine Puppe im Marionettentheater. Die Nazis ziehen die Fäden, und ich hab zu tanzen.«
Als sie von der Hohenzollernstraße einbogen in die Römerstraße, fiel es Therese ein, daß hier Karl Wolfskehl gewohnt hatte, der Dichter, der »Zeus von Schwabing« genannt wurde, und der Kopf oder das Herz des literarischen Lebens in München war. Auch Wolfskehl hatte im Haus der Suttners verkehrt. Damals hatte das Therese nicht interessiert. Heute machte es sie beklommen, versuchte sie, sich an Wolfskehl zu erinnern, was ihr nur unvollkommen gelang. Daß dieser bedeutende Literat, befreundet mit allen Geistesgrößen der gegenwärtigen Kunstwelt, daß er Deutschland verlassen hatte, verlassenmußte, weil er Jude war, das beschäftigte Therese. Mutter hatte Therese erzählt, daß seine Frau, eine Holländerin, mit den beiden Töchtern in München geblieben sei. Von ihr hatte Thereses Mutter erfahren, daß Wolfskehl gesagt habe, er wolle so weit weggehen, als dies überhaupt auf diesem kleinen Planeten möglich sei. Wolfskehl war nach Neuseeland emigriert. Dazu hatte er seine legendäre Bibliothek verkaufen müssen, von der es hieß, daß sie über zwölftausend Bände umfaßte.
Die früheren künstlerischen Gesangs- und Rezitationsabende im Hause der Eltern gab es nur noch in sehr eingeschränktem Umfang. Die Eltern wollten ihre arischen Freunde nicht in Verlegenheit bringen. Mutters engste Freundin, die Malerin Camilla Walter, kam ins Haus, als gäbe es die Nazis nicht. Und ihr Mann, ein bekannter Hotelier, spielte weiterhin mit Vater Schach. »Jetzt ist halt mal der Plebs dran, die Unkultur. Wir haben nicht aufgepaßt, aber die können sich doch gar nicht halten auf die Dauer. Die haben doch keine Ahnung von der Wirtschaft.« Noch mehr Respekt hatte Therese vor dem Kunsthändler Weinmüller, der seine Galerie im Palais Leuchtenberg in der Fürstenstraße hatte. Er verehrte Mutter und hielt viel von ihrer Malerei. Er beschwor sie oft, ihm doch Bilder in Kommission zu geben, doch Mutter wollte nicht. Weinmüller kam trotzdem immer wieder. Brachte Blumen für Mutter und Karlsbader Oblaten für Therese und Sybille. Er kam auch noch, als er bereits das goldene Parteiabzeichen hatte und persönlich mit Hitler und seinem engsten Kreis bekannt war. Einmal hatte Therese gehört, wie er zu Vater sagte, daß niemand etwas für seine Abstammung könne. »Wenn du nicht Jude wärst, wärest du sicher auch in der Partei.«
Dieser Gedanke war für Therese kühn und verwirrend. Vater als Nazi? Eine überraschende Vorstellung. Aber warsie wirklich absurd? Und was wäre, wenn ihr, Therese, nicht der Eintritt in den BDM versperrt gewesen wäre? Vielleicht würde sie ja mitmarschieren? Willig die Fahne schwenken. Therese mußte lachen, aber mehr aus Verlegenheit, denn sie wußte nicht so genau, ob sie es nicht doch ärgerte, daß sie nicht freiwillig auf die BDM-Schar verzichten konnte, sondern ausgeschlossen war. Erst im Frühjahr hatte Goebbels an BDM-Mädchen, die schon lange dabei waren und führende Positionen
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