Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
bekleideten, Volksempfänger verschenkt. Sybille hatte auf dem Heimweg von der Schule einige Mädchen gesehen, die einen Volksempfänger heimtrugen. »Ich hätt auch gern einen«, hatte Sybille gesagt. »Aber nicht, wenn ich dadurch eingebunden werde in Halstuch und Knoten.«
Eingebunden in das Hakenkreuzzeichen wurde auch die Stadt München. Hakenkreuzfahnen wehten überall. Am Karlstor waren riesige Plakate aufgehängt, auf denen zu lesen war, daß Hitler in letzter Minute Deutschland gerettet habe und daß alle Deutschen ihrem Führer die Stimme geben müßten. In letzter Minute. Die Stunde mahnt. Adolf Hitler, der Führer. Im August, an Hindenburgs Geburtstag, flaggten auch Privatleute üppig. Überall wehten die Fahnen mit dem Hakenkreuz. Selbst kleinste Balkone hatten Platz für Fahnen und Fähnchen.
Eine Stadt voller Hakenkreuze, eine bekreuzigte Stadt. Oder eine gekreuzigte Stadt. Aufmärsche, überall und jederzeit. Therese sah Kolonnen im Gleichschritt marschieren, Männer in braunen Hemden mit Hakenkreuzbinden und blanken Stiefeln, Hunderte, endlose Reihen, begleitet von Wehrmachtssoldaten im Stahlhelm. Münchner Schüler standen an den Straßen, wenn am 9. November der Reichstrauertag gefeiert wurde, oder wenn im April Hitler Geburtstag hatte. Am größten war der Jubel, als beim Münchner Abkommen Mussolini und Daladier Münchenbesuchten und von Hitler, Göring und Heß in einem Wagenkonvoi durch die Straßen Münchens geführt wurden. Überall an den Fahrwegen standen Schulkinder. Sie schwenkten Fahnen. Die Bevölkerung war begeistert auf den Beinen, Jubelnde säumten die Straßen, die festlich geschmückt waren. Hitler war der Held. Er hatte den Frieden für Deutschland erhalten.
Therese und vor allem Sybille gingen immer mal wieder zu Kundgebungen. Es faszinierte sie, unerkannt unter Hunderten von Menschen zu stehen. Die Straßen waren mit Pylonen bestückt, auf denen in Feuerschalen Öl brannte. Man hörte Pferdegetrappel, Blasmusik, und dann kamen sie. Voran Hitler. Dicht hinter ihm meist Göring, Goebbels und Heß, Christian Weber und mit großem Abstand die Hundertschaften der SS und SA. Meist marschierten sie zur Feldherrnhalle. Immer wenn Wahlen oder ein Fest anstanden, erschienen Plakate mit Hitlers Bild. Hitler war an allen Anschlagtafeln zu sehen, in allen Schaufenstern. Auch in den Fenstern der Privathäuser. Jede Straßenbahn fuhr mit seinem Bild, jeder Eisenbahnzug, jedes Autofenster zeigte Hitler. Sybille fand sich »mit Hitler genudelt wie eine Gans, die eine große Leber kriegen soll«. Die Eltern gingen niemals auf die Straßen, wenn wieder einmal eine Demonstration der nationalsozialistischen Herrlichkeit anstand. Sie verließen ohnehin kaum noch das Haus.
Als im Sommer 1937 München Kunststadt wurde und Hitler den Münchnern das Haus der Deutschen Kunst schenkte, gab es eine große Kunstausstellung mit Werken, die den Nazis genehm waren. Und natürlich gab es einen gigantischen Festzug. Diesmal gingen Therese und Sybille nicht hin. Sie hörten von Anni, der es in der Metzgerei erzählt worden war, daß dreißig Wagen, fünfhundert Reiter und fast fünftausend Menschen in historischen Kostümendurch die Straßen gezogen seien. Und daß so komische Leute auf Stelzen immer der Straßenbahnoberleitung ausweichen mußten.
Die Familie Suttner ging in eine andere Ausstellung. Es war nach langer Zeit das erste Mal, daß sich alle gemeinsam aus dem Haus begaben. Sie gingen in den Hofgarten, wo in den Arkaden, parallel zur Ausstellung im Haus der Deutschen Kunst, entartete Kunst gezeigt wurde. Kunst als abschreckendes Beispiel. Kunst, wie sie nicht sein durfte. Vor allem Mutter hatte gehofft, daß nur wenige Leute die Bilder sehen wollten, die von den Nazis als Werke von Idioten bezeichnet wurden.
In der Galeriestraße war jedoch ein solch starker Andrang, daß die Suttners zunächst nicht zu den Bildern gelangen konnten. Vater wollte schon wieder fortgehen. Doch als Mutter sich mit zu jeder Geduld entschlossener Miene in die Reihe der Wartenden stellte, blieb auch er, und langsam rückten sie vor in die Nähe der ausgestellten Bilder. Später erfuhren sie, daß an diesem Tag an die dreißigtausend Menschen diese Ausstellung besucht hatten. Da schien es Therese ein Wunder, daß sie überhaupt die Bilder in Ruhe hatten ansehen können. Es waren Arbeiten des Blauen Reiter, der Brücke. Therese sah sofort die Bilder ihres Lieblingsmalers Kandinsky hängen, Arbeiten von Klee. Zeichnungen
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