Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
versperren schien. Irgendwann hob sie sich dann wieder ein wenig und ließ die Sonne durch, konnte sich aber jederzeit wieder erdrückend senken, so daß man sich in auswegloser Dunkelheit glaubte. Dunkelheit, das waren Tage, an denen die Nachricht vom Tode eines Menschen Therese tagelang niederdrückte. Als sie vom Tode Erich Mühsams erfuhr, las sie wieder seine Texte: »Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen.« Wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik war Mühsam mit Festungshaft bestraft worden. Hier schrieb er für seine Frau. »Angst packt mich an, denn ich ahne, es nahen Tage voll großer Klage. Komm du, komm her zu mir! Wenn die Blätter im Herbst ersterben und sich die Flüsse trüber färben und sich die Wolken ineinanderschieben, dann komm. Du komm! Schütz mich – stütze mich – faß meine Hand an, hilf mir lieben.«
»Ich bin ein Pilger«, auch das hatte Mühsam geschrieben, »der sein Ziel nicht kennt, der Feuer sieht und weiß nicht, wo es brennt; vor dem die Welt in fremde Sonnen rennt.«
Kurt Tucholsky, der Mühsams Freund gewesen war, verließ Deutschland schon 1933. Ob man ihn vom gewaltsamen Tod des Freundes benachrichtigte? Eines Tages las Therese im ›Völkischen Beobachter‹ wieder einmal einen Artikel, der die Anmaßung der Juden beschrieb. Ferner von jüdischen Hetzern, die die Aufbauarbeit der Nazis verleumdeten. Der Artikel sprach von der Notwendigkeit, dem jüdischen Volke Bescheidenheit und vornehme Zurückhaltung in Form von Gesetzesparagraphen einzugeben. »Eine Notwendigkeit, welcher die deutsche Politik gerechtzuwerden sich bemüht.« Entsetzt las Therese weiter. »In diesen Tagen kam uns die Nachricht, daß der noch vor drei Jahren in Deutschland sehr bekannte Jude Kurt Tucholsky, der auch unter den Decknamen Theobald Tiger, Peter Panter, Ignaz Wrobel und Kaspar Hauser als Schriftsteller sein zersetzendes Gift verspritzte, in Göteborg in Schweden, wohin er bei der nationalsozialistischen Machtergreifung ausgewandert war, sich das Leben genommen hat. Er war es, der sich seinerzeit öffentlich rühmte, jederzeit bereit zu sein, militärische Geheimnisse des Deutschen Heeres an andere Mächte preiszugeben. In ihm hatte damals die Anmaßung des überstaatlichen Juden gegenüber seinem Gastlande den Gipfelpunkt erreicht.«
»Hier will ich einst begraben sein, in mein Verein«, hatte Kurt Tucholsky geschrieben. Ob er immer noch hier begraben sein wollte? In der täglich sich vergröbernden Kulisse von Radau, Unruhe, Provokation und Tod?
Dann wieder, wenn Therese mit Valerie und Sybille durch die Stadt ging, wenn sie den Kinderwagen am Königsplatz abstellten, sich auf die Stufen in die Sonne setzten und die Wärme auf dem Gesicht fühlten, dann schien die Bedrückung aufgehoben. Andere junge Mütter hatten ihre Kinderkarren zusammengestellt. Sie schaukelten sanft ihre Kleinen in den Schlaf oder fütterten sie. AuchVäter waren dabei. Sie saßen jedoch meist ganz oben auf den Stufen und lasen oder rauchten oder ratschten miteinander. Größere Kinder spielten Ball oder Kästchenhüpfen.
Plötzlich rief einer: »Schaut’s, der Zeppelin«, und alle jubelten. Besonders die Kinder. Im föhnigen Blau des Himmels schob sich die Riesenzigarre lautlos über München hinweg.
Sybille und Therese hatten Äpfel dabei. Sie boten einer jungen Frau, die neben ihnen saß, auch einen an, hielten sich aber sonst ganz zurück. Sie hatten gelernt, daß man nicht mit jedem Unbekannten so einfach reden konnte. Es gab schließlich das Heimtückegesetz, und wer unvorsichtig über Hitler sprach oder sich über Goebbels oder die Zeitläufte kritisch äußerte, der wurde nicht selten denunziert und fand sich vor dem Sondergericht wieder. Oftmals war das der direkte Weg nach Dachau. Doch die junge Frau, die den Apfel verspeist hatte und jetzt ihrem kleinen Buben die Flasche gab, hatte offenbar keinerlei Angst oder Argwohn. Sie rückte näher zu Sybille und Therese und fragte, ob sie schon die Berufsaussichten von Göring, Goebbels und dem Münchner Stadtrat Christian Weber kennen würden. Nein, sie hätten keine Ahnung, sagte Therese wahrheitsgemäß. Daraufhin klärte die junge Frau sie darüber auf, daß Reichsmarschall Göring bald Weltmarschall werde, Propagandaminister Goebbels werde Halbweltmarschall und Christian Weber werde Senefeldmarschall. Therese und Sybille lachten. Sie wußten genau, worauf die Frau anspielte. Der Goldfasan Christian Weber, eine schillernde
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