Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
mochte der braunen Meute nicht soviel Macht zugestehen. Lieber hielt sie sich selber für schuldig, als zuzugeben, daß die Nationalsozialisten sie in ihre elende Lage gebracht hatten.
Nicht nur sie allein. Therese fand den Spruch unwahr, daß geteiltes Leid nur halbes Leid sei, im Gegenteil. Ihre Wut und ihr hilfloser Zorn steigerten sich noch, wenn sie daran dachte, wie vielen Menschen es noch viel schlechter ging als ihr. Wie viele Schriftsteller allein hatten Deutschland schon verlassen müssen? Verleumdet und verfemt. Nie würde Therese die Nacht vergessen, als auf dem Königsplatz die Bücher der berühmtesten Dichter Deutschlands verbrannt wurden.
Leon war gekommen, wie gehetzt, konnte kaum sprechen, so rasch war er geradelt. »Stellt euch vor, in der Uni, im Lichthof, da feiern sie. Die nationale Revolution. Es ist grotesk, ihr müßt mitkommen, sonst glaubt ihr es nicht.«
Thereses Eltern wollten nicht mitkommen. Sybille, die sofort rausstürzte, wurde vom Vater zurückgerufen. Sie ging schimpfend und türeknallend auf ihr Zimmer. Therese radelte mit Leon zum Siegestor. Da kamen sie schon aus der Universität und aus der Technischen Hochschule, Studenten und Professoren, SS und SA. Einige trugen Fackeln, sie zogen durch die Ludwigstraße zum Odeonsplatz. Leon und Therese konnten kaum ihre Räder schieben, so viele Menschen standen auf dem Gehsteig und sahen sich den Zug an.
»Was gibt’s’n?« wurde Therese gefragt und »Wissen Sie, was die vorhaben?«
Therese ging dicht hinter Leon. Sie sah seinen schmalen Kopf, die vollen dunklen Haare. Manchmal drehte er sich um zu Therese, schaute sie ernst an mit zusammengepreßten Lippen. Begreif das hier mal, schien dieser Blick zu sagen. Begreifst du es auch wirklich? Therese begriff nichts. Wie immer. Aber sie fürchtete sich fast vor dem flackernden Licht der Fackeln, den Gesichtern der Menschen, die gespannt und aufgeräumt den Zug begleiteten. Leon hatte Therese auf dem Weg, als sie noch nebeneinander herfahren konnten, das Wichtigste erzählt. Ihr Lehrer hatte sie informiert. Die Nazis, so hatte Leon gesagt, wollten jetzt die deutsche Literatur erneuern, das hieß für sie, undeutsches Schrifttum zu verbieten und auszumerzen. Die Redner im Lichthof der Uni hatten gebrüllt unter dem Beifall der Studenten, daß sie jetzt endgültig gegen Dekadenz und moralischen Verfall kämpfen würden. Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, gegen Verfälschung der Geschichte und gegen volksfremden Journalismus jüdischerPrägung. Therese begriff nicht, wie die Studenten hatten beifällig brüllen können. Sie kannten sie doch, sie mußten sie doch kennen, die Schriften von Heinrich Mann, Erich Kästner, Sigmund Freud, Erich Maria Remarque, Theodor Wolff, Alfred Kerr, Tucholsky und Ossietzky. Und jetzt wollten sie dabei helfen, sie zu verbrennen?
Therese wurde mit ihrem Rad vom Gehsteig heruntergedrängt. Sie ging nun neben einem Studenten, der eine Hakenkreuzfahne trug. Therese sah ihn an. Sein Blick war irgendwohin gerichtet. Er lächelte, schien seine Umgebung gar nicht wahrzunehmen. Hinter ihm kam eine Blaskapelle. Braunhemden, Wadlstrümpfe statt der blanken Stiefel. Aber auch sie gingen unterm Hakenkreuz. Wadlstrümpfe unterm Hakenkreuz. Therese schaute auf die Wadlstrümpfe, als könnten sie ihre Angst dämpfen, ihr Unbehagen, das diese Mainacht so schwer erträglich machte, ihre bange Stimmung, die von den schwer über der Ludwigstraße sich zusammenschiebenden Wolken noch verdichtet wurde. Durch die Brienner Straße wälzte sich jetzt der Zug weiter zum Königsplatz, wo schon ein Scheiterhaufen angezündet war. Therese konnte nicht sehen, was sich vorne ereignete. Nur wenn sie sich hochreckte, sah sie die Flammen, die Gesichter der Studenten und SA-Männer, die unter Johlen Bücher in das Feuer warfen.
Therese hörte auch den Namen Thomas Manns, und ihr Herz klopfte noch stärker. Mit seinem ›Zauberberg‹ war sie noch nicht fertig geworden, und gerade schrie einer, daß er jetzt den ›Zauberberg‹ in die Flamme werfe. Therese hörte, wie einer rief: »Verschlinge, Flamme, den undeutschen Geist.« Die Kapelle spielte Marschmusik. Es war ein Lärm, der sich mit dem Prasseln des Feuers vermischte, mit den Bravo-Rufen. Manche Leute waren völlig ruhig, sahen schweigend dem Spektakel zu.
Auf dem Nachhauseweg sagte Leon zu Therese, er habeerfahren, daß Göring schon früh in einem Interview mit der italienischen ›Gazetta del Popolo‹ über das
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