Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
gerann zu einem jähen Schmerz, als er sich auf sie warf. Doch dann riß er sie wieder hoch, lachte wiehernd. Ob sie denn wirklich gedacht habe, er würde sich an einer Judenschlampe vergreifen, ob sie sich wirklich soviel einbilde. Und jetzt könne sie machen, daß sie heimkomme. Er schien unglaublich viel Vergnügen an seinem Scherz zu haben. Immer wieder brach er in prustendes Lachen aus. Therese war es gleichgültig. Sie war wie erstarrt und leer vor Erleichterung, daß der Kerl von ihr abgelassen hatte. Sie rannte zurück, das Gesicht naß von Tränen. Sie weinte vor Erschöpfung und vor Glück, daß sie Valerie in die Arme nehmen konnte. Valerie, Mutter und Sybille, und Vater auch. Sie schämte sich, daß sie erleichtert war, während Libeth und Ida mit den Polizisten ins Gefängnis gehen mußten.
Therese erinnerte sich oft daran, daß Girgl gesagt hatte, München sei nicht die Hauptstadt der Bewegung, München sei vielmehr die Hauptstadt der Gegenbewegung. Das war lange her. Im Bürgerbräukeller, im November 1939, hatte tatsächlich einer versucht, Hitler umzubringen. Feiger Mordbubenanschlag auf den Größten aller Zeiten. So einerhat sieben Leben wie die Katzen, hatte Anni bitter gesagt. So einen wie den Hitler, den bringt nichts um.
Frauen, junge Mädchen schluchzten in den Straßen. Hitler selbst sei bleich, aber gefaßt, hörte man im Radio. Und die Nazis siegen. Bald werden die Hitlerdeutschen den Erdball überschwemmen. Aus allen Lautsprechern erschallte die Stimme Hitlers. An einem heißen Julitag 1940 machte Hitler sein letztes Friedensangebot an England. München hatte Adolf-Hitler-Straßen. Therese wußte, daß es in Solln eine gab und in Aubing. Außerdem gab es in Solln große Gartenanlagen. Hier wurden Gemüse und Salate für den Rohköstler des Reiches gezogen. Die ersten Flugzeuge dröhnten über die Stadt. Thereses Vater schaute gegen den Himmel, murmelte etwas, das so klang wie »Gegen alles Recht, gegen Treu und Glauben«. Das war Vaters einziger Kommentar zu Hitlers Politik.
Es hieß, daß Hitler sich in Solln einen luxuriösen Bunker bauen ließ. Selbstverständlich war Juden nicht erlaubt, einen der Bunker Münchens aufzusuchen. Sie durften auch nicht in die Luftschutzkeller, wenn Fliegeralarm war.
Letzte Woche waren Therese und Sybille mit dem Kinderwagen zum Rathaus gefahren. Dort, so hieß es, gäbe es Kohlen. Es gab auch welche, aber nur gegen Ausweis. Therese wußte, mit ihrer Kennkarte würden sie keine Kohlen bekommen, und so gingen sie unverrichteter Dinge wieder heim.
Dafür hatten sie bei Tietz Glück. Es gab Fisch, und Therese war schon früh dort. Anni hatte Bescheid gesagt. Und so konnte Therese auf die Lebensmittelkarten der Hallhubers, die keinen Fisch mochten, eine große Portion Schellfisch mitnehmen. Therese hatte die ganze Nacht Zahnschmerzen gehabt, ständig mit Kamillentee gegurgelt. Da freute sie sich besonders auf den weichen Fisch, den sienicht kauen mußte. Auch für Valerie würde das zarte weiße Fleisch ein Segen sein. Die Kleine hatte schon seit drei Tagen Durchfall, mochte nichts essen. Therese hatte nichts, was sie dem Kind geben könnte, aber der Fisch, vermischt mit Kartoffelbrei, würde ihm vielleicht guttun.
Deutschland war auch im Krieg mit Frankreich. Im Juni erklärte Italien Frankreich und England den Krieg. Ständig war Fliegeralarm. Die Suttners saßen von mittags zwölf bis nach drei im Keller, bis Entwarnung kam. Am nächsten Tag wieder Alarm. Therese hätte dringend in die Stadt gehen sollen. Sie hatten keinerlei Vorräte mehr. Vor allem Valerie brauchte Milch oder mal ein Ei. Es war nichts mehr da. Als die Familie nach der Entwarnung hungrig und müde aus dem Keller stieg, kam Anni geradelt. Sie hatte von daheim ein Paket bekommen mit Gemüse und Geräuchertem. »Wer soll’s denn sonst essen? Ich esse doch im Geschäft.«
Valerie bekam jetzt auch noch einen schlimmen Husten. Ein Keuchhusten mitten im Sommer, bitte, bitte nicht, flehte Therese die Kleine an. Mit Sybille pflückte sie Johannisbeeren im Garten, machte für Valerie heißen Saft daraus. Der Husten wurde leichter. Vielleicht wurde es doch kein Keuchhusten. Wenigstens das nicht. Doch in der Nacht hustete Valerie wieder so stark und hatte Atemnot, so daß sie beim Versuch, aus ihrem Gitterbettchen zu steigen, auch noch unglücklich hinfiel und sich den Kopf anschlug. Therese machte der Kleinen kalte Umschläge. Sie sah das geduldige Lächeln ihres Kindes, das
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