Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
gern das sanfte Rattern der Strickmaschinen und Rundstühle. Sah dem ruhigen Hantieren der Stricker zu, die an den Maschinen auf und ab gingen und die gestrickten Bahnen überprüften. Alle Arbeiterinnen und Arbeiter grüßten Therese freundlich. Viele arbeiteten schon lange bei der Firma Suttner, die Thereses Vorfahren im Jahre 1906 als Strumpfwirkerei gegründet hatten.
Therese wußte noch genau, wie ihr Großvater durch die Welt gereist war. Er hatte es ihr immer wieder erzählt. Nach Beirut war er gefahren, nach Damaskus und Alexandrien. Besonders die damalige Hauptstadt der Türkei, Konstantinopel, konnte stattliche Mengen an Trikotagen brauchen. Die Firma Suttner mußte sich nur in der Farbpalette umstellen. Rosa, Havanna oder Kamelbraun, das waren für bayrische Augen ungewohnte Farbtöne. Strickwesten fanden reißenden Absatz, wenn sie in einer leuchtenden Farbe geliefert werden konnten, etwa gelb oder rot. Großvater Suttner mußte seinen Färbern gut zureden. Auch Algerien, China und die Türkei waren nicht zu weit abgelegen. Großvaters Firmengrundsatz war gewesen: »Der beste Vertrag ist gegenseitiges Vertrauen.« Ein türkischer Großabnehmer hatte zu seinem deutschen Vertragspartner gesagt: »Ein Stein ist hart, aber du, deutscher Kaufmann, bist härter als ein Stein.« Auf dieses Lob war Großvater Suttner sehr stolz gewesen. Der Satz wurde in der Familie gern und oft zitiert.
Das war jetzt zu Ende. Unwiderruflich. Fabrik und Kaufhaus waren in arischen Händen.
Thereses Vater arbeitete jetzt in einer Zementfabrik. Und nun warteten sie darauf, daß sie auch ihr Haus im Herzogpark würden räumen müssen. Die Großeltern Suttner waren gestern aus ihrer geräumigen Bogenhausener Wohnung ausgezogen, in eine Pension nahe der Kunstakademie. Therese hatte sie dort sitzen sehen. Hilflos zwischen den vielen Kartons und Kisten. Sie waren beide zunächst unfähig, sich in der engen Kammer einzurichten. Leons Eltern traf es ebenso hart. Sie hatten ihr Haus in der Mauerkircherstraße eintauschen müssen gegen ein Unterkommen bei einem jüdischen Leichenbestatter im Lehel. Sie wohnten mit elf Leuten in einer Fünf-Zimmer-Wohnung.
Selbstverständlich hatten sie auch kein Auto mehr. Die Fahrräder hatten sie abgeben müssen, das Telefon. Thereses Vater hatte Glück gehabt. Er durfte im Büro der Zementfabrik sitzen, eine Kartei führen. Sybille reinigte im Eisenbahndepot in der Baumkirchner Straße Lokomotiven. Mutter arbeitete bei der Straßenreinigung. Therese war darüber entsetzt gewesen. Doch Mutter hatte gleichmütig gesagt, daß es ihr gerade recht wäre, dann könnten es wenigstens alle sehen.
Deutschland duckte sich immer mehr unter den Bombenangriffen. Seit zwei Jahren war Krieg. Bomben waren auf Riem gefallen und auf Allach. Im Tal gab es Trümmer und in Schwabing. Auch im Englischen Garten waren riesige Sprengtrichter. Im Hofbräuhaus, dem schönsten Keller Münchens, wurde eine Frau vom Schlag getroffen. Daran war niemand schuld, wahrscheinlich wieder die Vorsehung. Hitler sprach im Radio immer von der Vorsehung. Man konnte es schon nicht mehr hören. Ehe sie ihre Räder abgeben mußten, waren Therese und Sybillenoch einmal mit Valerie in den Tierpark nach Hellabrunn gefahren. Es war verboten. Aber Valerie hatte es genossen. Und es war schön gewesen.
Müde suchten sie abends im Garten an Gemüse zusammen, was noch zum gemeinsamen Abendessen taugte. Viel war nicht mehr da. Sie pflückten zum letztenmal Äpfel und Johannisbeeren, obwohl sie wußten, daß sie keinen Vorrat mehr davon anlegen konnten. Gerade noch vor der Dunkelheit, und kurz vor dem ersten Donner des schweren Gewitters, wurden sie fertig. »Rolf hatte immer Angst vor dem Gewitter«, sagte Valerie. Und Therese spürte, wie sehr das Kind den Hund vermißte, den Berner Sennenhund, mit dem es aufgewachsen war. Sie hatten Rolf von einem Tag auf den anderen abgeben müssen. Auch das Sittichpärchen Hermann und Dorothea. Den Hund hatte Anni genommen. Tagsüber ging er mit in die Metzgerei. Einer der Gesellen dort hatte Rolf abgerichtet. Für ein Stück Wurst hob er die rechte Pfote, und der Geselle schrie Heil Hitler. Anni und Hallhuber waren darüber empört. Aber sie waren machtlos dagegen.
Wieder donnerte es gewaltig. Therese nahm Valerie auf den Arm. »Ich habe keine Angst vor Gewitter. Warum haben denn die Tiere Angst?« wollte Valerie wissen. Therese erklärte ihr, daß man im Haus vor dem Gewitter geschützt sei und daß die Tiere
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