Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
und wieder. Therese dachte, daß es wieder einmal die SS sei, oder die SA, wieder der Kerl mit seinem nervösen Hund. Sie griff im Aufstehen den Morgenmantel, der über ihrem Bett lag. Sie rannte die Treppe hinunter, um zu öffnen, denn die SS wartete nicht gern. Auch Vater, Mutter und Sybille kamen, eng in ihre Morgenmäntel gewickelt. Doch seltsam, an der Haustür und auch auf der Straße war nichts zu sehen. Dabei trat die SS immer in Horden auf. Sie wollten sich schon wieder zurückziehen, an einen Streich glauben. Da flog wie ein Nachtfalter eine Gestalt aus der Nische der Kellerfenster. Libeth. Sybilles Freundin Libeth Rebmann lief auf Sybille zu, aber es war nicht die Libeth, die sie kannten. Es war nur ein verstörter, verzweifelter Schatten von ihr. Ein erschöpftes Gesicht mit leeren Augen und blassem Mund. Libeth besuchte mit Sybille die jüdischeSchule. Ihr Vater war ein bekannter Arzt in der Leopoldstraße.
»Bitte, kommen Sie«, flüsterte Libeth, »meine Eltern, meine Brüder. Die SS schlägt alles kaputt. Sie schlagen meinen Vater, sie haben Revolver. Alle sind in unserer Wohnung.« Libeth war im Nachthemd. Sybille holte ihr einen Mantel. Vater versuchte Libeth zu erklären, daß sich niemand von der Familie Suttner jetzt in der Leopoldstraße sehen lassen dürfe. »Sie nehmen uns sofort in Schutzhaft«, sagte Vater, »und du weißt, was das bedeutet.« Therese sah, wie Libeths flehende Augen dunkel wurden, still. Libeth begriff, daß sich die Suttners anklammerten an ihr Haus, das noch nicht zerschlagen worden war. Das konnte heute geschehen oder morgen. Aber solange es noch nicht geschehen war, hielten alle still und haßten sich dafür. Wer wußte, ob die SS nicht schon im Anmarsch war auf das Haus? Sie baten Libeth zu bleiben, sich im Haus zu verstecken, um wenigstens ihr Leben zu retten.
Am Morgen auf dem Weg zur Arbeit ging Therese durch entstellte Straßen. Kalte Luft schnitt ihr ins Gesicht und in die Waden. Es war kurz nach fünf Uhr in der Früh, noch niemand zu sehen. Die Geschäfte der Juden, bislang nur besudelt, waren zerstört, ausgeraubt. Therese war, als riefen sie um Hilfe. Die Scherben der Schaufensterscheiben lagen in den Straßen. Therese mußte achtgeben, daß sie sich nicht die Füße verletzte. In den Scherben lagen Textilien, zerbrochenes Geschirr, Bücher, Bilder mit Messern zerfetzt. Auf dem Praxisschild von Dr. Rebmann stand JUDA VERRECKE. Auch hier lagen überall Bücher, Geschirr, eine verbogene Minora, Gebetsriemen. Die Tür des Hauses stand auf. Therese schlich sich hinein. Tastete sich am Geländer hoch in den ersten Stock, denn die Treppe lag voll mit Hausrat und Scherben. In der Wohnung war das Glas wieder fußhoch geschichtet. Therese konnte kaum gehen.Ihr war übel, der Mund ganz trocken. Sie sah die schweren geschnitzten Eichenmöbel, die Glasvitrinen, die Konsolen. Alles war zertrümmert, offenbar durch Beilhiebe. Der Flügel stand da, viehisch zerhackt. Stumm für immer.
Plötzlich hörte Therese ein Geräusch aus der Küche und dachte erschreckt an späte Plünderer. Doch eine Frauenstimme, klein und zittrig, kam aus dem Dunkeln. Ida, das Hausmädchen der Rebmanns. Therese konnte sie nicht deutlich sehen, doch Ida flüsterte, daß sie Kerzen suche. Therese tastete sich weiter vor, und da flammte ein Streichholz auf. Ida hatte beides gefunden, Streichholz und Kerzen.
Im Flackern des Lichts sah Therese Idas Augen. Ihr Gesicht war ein blinder Fleck voller Schatten und Angst. Ida war aufgewacht in der Nacht, hatte nicht mehr einschlafen können trotz des Veronals vom Doktor. Da war sie halt in den Keller gegangen, wollte Anmachholz, Kohlen und Briketts raufholen für den nächsten Tag. Als sie im Keller war, hörte sie plötzlich Lärm im Hausflur. Wüst. Ein Lärm wie noch nie. Schläge mit dem Beil an die Türen. Männer schrien Juda verrecke und Mörderjuden und jetzt wollen wir es der Judensau mal zeigen. Und dann waren sie die Treppe raufgerannt. Ida blieb hinter der Kellertür stehen. Sie hatte gehört, wie die SS oder SA die Glastüren oben einschlugen. Sie hörte Frau Rebmann schreien und die Stimme vom Herrn Doktor. »Und dann hörte ich meine Jungen, den Aaron und den Daniel. Sie brüllten immer ›Papa, Papa‹ und die SS-Leute schrien, sie sollten das Maul halten, sonst würden sie abgeknallt. Und dann hörte man immer mehr Brüllen und Schreien, und immer mehr SS rannte die Treppe rauf und es krachte und klirrte, und meine Frau Rebmann weinte,
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