Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
war schon lauernd und drohend, so daß Therese den Arm hochhob, worauf sich der SA-Mann trollte. Es machte Therese sogar Spaß, den Arm zum Hitlergruß hochzurecken, sie fand es grotesk, wenn ein Nazi es von ihr verlangte, und tat es dann um so lieber.
Hier auf dem Oktoberfest war auch reichlich mit Hakenkreuzen geflaggt. »Dafür gibt’s keine Hendl«, murrte Metzger Hallhuber. »Ein Oktoberfest ohne Hendl, ja gibt’s des a.«
Sie aßen dann Steckerlfisch und sahen sich den Trachtenfestzug an und das anschließende Feuerwerk. Ein großer Zug BDM-Mädels kam ihnen entgegen. Ebenso Hitlerjungen im Gleichschritt. Hallhuber zeigte wieder listige Augen unter seiner speckigen Lederkappe. Er wandte sich an Anni, Therese und Sybille, so daß seine Frau nicht mithören konnte. »Was heißt eigentlich BDM? Ich sag’s Ihnen: Bald Deutsche Mutter oder Bedarfsartikel Deutscher Männer.«
Frau Hallhuber hatte es aber doch gehört und schimpfte ihren Mann aus, soweit sie es sich traute. »Du willst unbedingt nach Dachau – du kommst schon noch hin.«
Doch Michl Hallhuber war noch nicht am Ende mit seiner Lästerung der Nationalsozialisten, die in seinen Augen nur Unglück über Deutschland bringen würden. »Die tun immer so moralisch, dabei ham s’ gar keinen Anstand. Am Reichsparteitag vor zwei Jahr in Nürnberg, da san hunderttausend Hitlerjungen und BDM-Mädchen gewesen. Neunhundert von die Madln sind schwanger zruckkomma. Wenn des koa Sauerei ist.«
Und Hallhuber schimpfte weiter, daß die Nazis nichts anderes könnten als mit den Leuten umeinandermarschieren und paradieren. Alle, die ganze Familie, das sei ja nur noch ein Naziverein. »Der Papa ist SA-Mann, die Mamaist in der NS-Frauenschaft, der Sohn in der HJ und die Tochter beim BDM, und wenn s’ Glück ham, treffen sie sich einmal im Jahr beim Parteitag in Nürnberg.«
Dann, mit einem vorsichtigen Blick auf seine Frau, setzte Hallhuber bitter hinzu: »Die Hitlerjungen, die sind allesamt Raudis, und der unsrige ist einer von die schlimmsten.«
Frau Hallhuber schwieg. Erst letzte Woche hatte sie mit ihrem Mann in die Schule kommen müssen. Ihr Sohn hatte das Kruzifix von der Wand gerissen, es durchs Fenster auf die Straße geworfen und gebrüllt: »Da gehörst du hin, Saujud.« Seitdem wollte Hallhuber seinen Ältesten nicht mehr sehen. Es sei denn, er käme, um sich zu entschuldigen. Doch Anni hatte zu Therese gesagt: »Da kann der Hallhuber lange warten. Der Toni, der ist ein ganz scharfer Nazi. Der bläst sich auf, als wenn ihm ganz München gehören tät. Und der verkauft auch seinen Vater an die Partei, wenn es ihm zu blöd wird. Der Hallhuber muß sich vorsehen vor seinem eigenen Fleisch und Blut. Soweit ist es schon gekommen.«
Es war in der Novembernacht. Als sie hörten, daß die Synagoge in der Herzog-Rudolf-Straße brannte, wollte Sybille dorthin, obwohl die Eltern es ihr sofort untersagten. Trotzdem zog Sybille ihren Mantel an, und Therese sah an ihrem Gesicht, daß sie nicht umzustimmen war. Deshalb begleitete sie Sybille. Beide rannten durch die graukalten Novemberstraßen. Therese spürte die Winterluft, die ihr Schauer über den Rücken jagte. Sie sah viele Menschen vor der Synagoge stehen, Leute mit Fahrrädern, Mütter, Kinder, Gesichter ohne Namen. Stumm schauten sie zu, wie vor der rauchenden Synagoge ein Lastwagen beladen wurde. SA-Leute trugen Teile des Thoraschreinshinaus. Thorarollen, Ornate der Rabbiner. Sie ließen achtlos Gewänder auf den Boden fallen. Sie lagen da wie Flecke, wie Löcher im Boden, Therese fühlte ihr Gesicht brennen, als habe jemand die Haut abgezogen.
Therese hatte nichts wissen wollen, nicht denken wollen. Doch jetzt stieg Angst in ihr auf. Sie spürte, wie Sybilles Hand sich in ihrer verkrampfte. Eiskalt war Sybilles Hand, und beide gingen, so rasch sie konnten, weg. Zurück zum Herzogpark. Zum Haus der Eltern. Aus dem Salon hörten sie Klavierspiel. Sie wußten, daß die Mutter jetzt am Flügel saß. Vater spielte Schach gegen sich selbst. Das war Thereses Deutschland. Ihr Elternhaus. Ein Kulissendeutschland. In dem lebte Therese mit den Eltern, mit Sybille und Valerie. Sie taten so, als lebten sie wie immer, und wußten doch, daß alles nur geliehen war. Sie besuchten inzwischen niemanden mehr und wurden von niemandem besucht, außer von Anni, die manchmal nachts zu ihnen schlich. Sie hatten nur noch einander, und zwar so rettungslos wie nie.
Als sich alle schlafen gelegt hatten, klingelte es. Wieder
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