Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
herumkramte. Dabei redete sie ununterbrochen: »Therese, du mußt es allen sagen, allen. Ich hab Leo begleitet. Sie haben ihn weggebracht. Nach Polen. Sie konnten mir nicht verbieten mitzufahren. Bis Auschwitz, bis zum Bahnhof habe ich es geschafft. Dann haben sie uns mit Gewalt getrennt. Im Polizeigriff haben sie mich weggebracht,aber ich habe es trotzdem gesehen. Therese, Hunderte von Juden kommen da an, in Bussen werden sie abtransportiert. Und in den Bussen da sind Apparate, da strömt Gas aus. Die Busse kommen leer zurück. Entweder vergasen sie die Leute schon da drinnen oder sonst später im Lager. Du mußt es allen sagen, Therese, ihr müßt weg, untertauchen, so schnell es geht.«
Tilda war langsamer gegangen. Zurückgeblieben. Therese sah sich nicht nach ihr um. Sie lief, als könne sie durch ihre Hast dem Bericht Tildas entkommen, der ihr im Nacken saß. Der ihr bestätigte, was sich auch die Frauen in der Fabrik zuflüsterten. Deportation, das bedeutete den Tod. Seit der ersten Deportation war die Stimmung im Lager schlagartig verändert. Vorher war es so gewesen, als könnten die Heiminsassen hier etwas freier atmen. Als schienen sie zu vergessen, welcher Fluch auf ihnen lag. Es war gewesen, als hätte der herrliche bunte Garten, die Behäbigkeit der Kirche viel von der Angst genommen, in der die Juden in der Stadt mit ihren ständig neuen Verboten hatten leben müssen. Der Abtransport jedoch machte die Stimmung im Lager trostlos. Therese fühlte sich immer stärker mit Else Behrend-Rosenfeld verbunden, die blaß und müde wirkte und doch offenbar immer noch genug Kraft hatte, andere zu trösten. Wenigstens wußte sie ihre Kinder in England in Sicherheit.
Valerie. Therese ging in den Heimkindergarten, um ihre Kleine abzuholen. Im Garten begegnete ihr die Oberin. Die Nonnen hatten Kirschen gepflückt und verteilten sie nun an die Juden. Das mußte geschehen, ohne daß die Wachhabenden etwas davon erfuhren. Die Oberin sah Therese freundlich an, wendete sich ihr aber nur leicht zu: »Sie sind doch die Mutter der kleinen Valerie, nicht wahr? Gehen Sie ins Gewächshaus, da stehen Körbchen mit Kirschen. Die sind für Sie und Ihre Familie.«
Therese bedankte sich. Auch sie mühte sich, nur wie zufällig neben der Nonne zu gehen. »Sie ermöglichen uns allen hier ein menschliches Leben, dafür möchte ich Ihnen einmal danken«, sagte sie zu der Oberin. Doch die lächelnde zarte Frau mit dem feingeschnittenen Gesicht sah plötzlich verhärmt und hart aus: »Glauben Sie mir, ich bin glücklich, jüdische Menschen hier zu haben und nicht Parteimitglieder.«
Therese begriff, daß auch die Ordensfrauen in ihrer scheinbar so unantastbaren Zurückgezogenheit und Ruhe gegen den Zugriff der Nazis nichts ausrichten konnten. Daß diese kluge Frau sich ihrer Hilflosigkeit durchaus bewußt war, daß sie darunter litt.
Wenige Tage später kam Mutter mit bleichem Gesicht von ihrer Arbeit zurück. Sie setzte sich still auf ihre Pritsche und schüttelte nur hin und wieder den Kopf. Nach und nach erfuhren Therese und Sybille, daß Mutter zum Straßenreinigen in der Nußbaumstraße gewesen war. Gemeinsam mit anderen Frauen hatte sie Abfälle in Säcke gesammelt, als plötzlich eine der Frauen zu kehren aufhörte, horchte. Und dann kamen sie. Eine Frau und ein Mann. Sie trugen den Stern und rannten, verfolgt von einer Meute junger SS-Männer. Schließlich hatten sie den wesentlich älteren Mann erreicht, hielten ihn fest, zerrten an ihm herum, johlten und brüllten: »Komm Israel, laß uns doch mal sehen, wie du untenherum aussiehst.« Der Menschenhaufen, der sich ansammelte, war inzwischen ganz in der Nähe von Mutters Reinigungskolonne. Und Mutters Entsetzen über die widerliche Szene steigerte sich zur Panik, als sie erkennen mußte, daß die Frau, die da so verzweifelt versuchte, ihrem Mann zu Hilfe zu kommen, daß diese Frau ihre Schwester Irmingard war. Die SS-Männer hatten jetzt Mutters Schwager, einem Juwelier und früheren Stadtrat, die Hosen heruntergerissen. Er taumelte, fiel hin.Die Meute zerrte ihm Hosen und Unterwäsche vom Körper. Mutter sah, wie ihre Schwester auf eine Polizeistreife zulief, die Polizisten beschwor, ihrem Mann zu helfen. Doch die lachten nur. Sahen zu, wie die Nazis Mutters Schwager durch die Straße trieben. Schließlich nahm ein Polizist einem SS-Mann die Hosen ab und warf sie dem Opfer vor die Füße.
Mutter hatte sich abgewandt. Sie wollte es ihrer Schwester und dem Schwager unbedingt
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