Beschuetz Mein Herz Vor Liebe
Polensau, je nachdem.
Einmal hatte Therese vom stundenlangen Sitzen auf dem Hocker derart starke Rückenschmerzen, daß sie glaubte, das Kreuz würde ihr durchbrechen. Sie wußte, daß im Magazin Stühle standen, lief rasch, sich einen zu holen. Öttl, der offenbar gewartet hatte, bis sie wieder saß, riß ihr blitzschnell den Stuhl weg, schrie, daß sie hier nicht im Cafe weile, und als sich Therese nicht sofort wieder vom Boden erhob, griff er ihr brutal an den Kittel, riß sie hoch.»Das erlaubst du dir nicht noch mal, Judenschlampe«, sagte er und gab ihr einen Stoß, so daß sie gegen Christl fiel und einen Kasten mit Schrauben zu Boden riß. Öttl begann wieder zu toben. Er schlug Gertrud und Christl, die Therese helfen wollten, die Schrauben aufzuheben.
In der nächsten Schicht kam Thalhuber, dem Öttl offenbar Bericht erstattet hatte. Im Raum war es still. Es hieß, daß Thalhuber der Chef von Öttl sei, doch keine wußte es genau.
Therese dachte sehnsuchtsvoll an einen Ort, wo sie sich verbergen könnte, eine dunkle Ecke, eine schmutzige Höhle. Irgendeinen Ort, denn sie wußte, daß Thalhuber nicht auf ihrer Seite sein durfte. Sie schloß die Augen, erwartete Thalhubers strafende Stimme wie ein Schlinggewächs, das wachsen und sich um sie herumwinden würde.
Thalhuber kam zu Therese, sagte, daß sie sich ihren Stuhl wieder aus dem Magazin holen solle. Therese schaute Thalhuber verblüfft an. In ihr breitete sich eine Welle aus, weich und warm, und Thalhuber sagte, alle könnten sich Stühle holen, jede, die einen wolle. Öttl erschien nicht mehr. Es hieß, er arbeite im Versand.
Als Therese zum erstenmal mit ihrem gelben Stern zur Arbeit gehen mußte, erschienen ihr die Straßen kaum noch passierbar. Denn nun gab es keinen noch so dunklen Ort mehr, wo sie nur noch eine Frau war, ein Mensch wie andere. Sie konnte das jetzt nicht mehr vorspielen. Der gelbe Stern leuchtete noch von der hintersten Plattform der Straßenbahn, obwohl Therese ihre Tasche vor die Brust gehalten hatte. Der SS-Mann jedoch hatte Gelb gesehen. Er meldete Therese sofort dem Schaffner, der ihre Personalien aufschreiben mußte. »Und daß Sie sofort der Partei Meldung machen«, befahl der SS-Mann dem Schaffner, der stumm blieb. Auch im Wagen war es still. Nur der SS-Mann brüllte, stieß Therese brutal von der Plattform herunter.»Damit du endlich lernst, daß die Straßenbahn nicht für Juden da ist.«
Therese war mitgefahren, weil sie eine Grippe hatte. Fast vierzig Grad Fieber. Sie fühlte, wie ihr das Fieber den Kopf mit Schmerz füllte, ihr Herz zum Rasen brachte und die Knie einknicken ließ. Gleich nach dem Zähneputzen hatte sie sich zurückgeschlichen zu ihrer Matratze. Doch schon am nächsten Morgen erschien die Gestapo und befahl sie wieder zur Arbeit. »Morgen sind Sie wieder an Ihrem Platz, oder wir holen Sie persönlich ab.« Danach hatte Therese wieder genügend kalte Wut, so daß sie sich eine Jacke ohne Stern mitnahm und damit den Stern verdeckte. Das war zuverlässiger, als eine Tasche davorzuhalten.
An dem Morgen, als Thalhuber Therese zum erstenmal mit dem Stern sah, nahm er sie leicht beim Arm. Er, der bislang immer formell und eher schroff geblieben war, zog jetzt Therese scheu, fast zärtlich zu sich und sagte, sie immer noch ansehend: »Ehrenzeichen werden links getragen.«
Es war Therese, als könne sie nach langer Blindheit zum erstenmal wieder sehen. Die Luft um sie herum lebte. Sie spürte die warme Hand des Mannes an ihrem Arm. Sah die tiefen Kerben zwischen Nase und Mund, den grauen Streifen in seinem wassergescheitelten Haar. Thalhuber war Arier, und er hatte Therese gerade wieder in ihre Rechte eingesetzt. Manchmal hatte er Obst in ihren Kittel gesteckt, ein Stück Speck. Dinge, die für Therese inzwischen unerreichbar waren. Juden konnten kein Fleisch mehr kaufen, keinen Fisch, keinen Käse. Sie bekamen weder Milch noch helles Brot. Nur noch Kartoffeln, grobes dunkles Brot und Rüben blieben ihnen. Und auch davon nur je ein Pfund pro Woche. Einmal fand Therese in ihrer Tasche sogar Schokolade und einen Zettel dabei »für Valerie«.
Thalhuber wußte, daß Therese eine Tochter hatte. Morgens, wenn sie in die Fabrik ging, brachte Therese Valeriein den Heimkindergarten. Abends holte sie die Kleine dort wieder ab. Oft gingen sie beide wortlos, so als schliefen sie im Gehen. Therese hatte nicht mal mehr die Kraft, für sich und Valerie eine helle Zukunft zu erträumen. Valerie war sehr still geworden.
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